Rn 13

Hatte der Äußernde oder der Empfänger ein berechtigtes Interesse an der Mitteilung, wird der Äußernde nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn ihm die Unwahrheit der mitgeteilten Tatsache unbekannt war, § 824 II. Bei fahrlässigen Falschbehauptungen kann also die Haftung entfallen. Bei Vorsatz oder Leichtfertigkeit greift § 824 II hingegen nicht, weil der Äußernde hier die Unwahrheit kannte oder jedenfalls billigend in Kauf nahm (s insb BVerfG NJW 00, 199, 200 [BVerfG 16.03.1999 - 1 BvR 734/98] – zu § 193 StGB). Die dogmatische Einordnung der Regelung ist str; das Meinungsspektrum reicht vom Entfallen der Tatbestandsmäßigkeit der unerlaubten Handlung (zB Adomeit JZ 70, 495, 496 ff) über Einfluss auf die Pflichtverletzung (auf der Basis der Lehre vom Handlungsunrecht, so insb MüKo/Wagner § 824 Rz 45; ähnl BeckOGK/Spindler § 824 Rz 28.1; BeckOK/Förster § 824 Rz 44), Rechtfertigungsgrund (zB BGHZ 3, 270, 280 f; Hamm NZG 22, 1211, 1218; Erman/Wilhelmi § 824 Rz 10) bis zum Entschuldigungsgrund (Larenz/Canaris § 79 I 4c mwN; wohl auch Soergel/Beater § 824 Rz 50). Praktisch bedeutsam ist die Einordnung, weil bei Zuordnung zur Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitsebene auch quasinegatorische Ansprüche (insb Widerrufsansprüche) und Abwehrrechte des Betroffenen (zB Notwehr) entfallen. Das spricht – trotz der Ähnlichkeit des § 824 II mit § 193 StGB – für eine Einordnung als Entschuldigungsgrund, zumal die Tatbestandsstruktur des § 824 von derjenigen der §§ 186 ff StGB abweicht (§ 824 als Verletzungsdelikt, §§ 186 ff StGB als Gefährdungsdelikte, Larenz/Canaris aaO).

 

Rn 14

Die Annahme eines berechtigten Interesses erfordert – unabhängig von der dogmatischen Einordnung – eine Güter- und Interessenabwägung zwischen den Interessen des Äußernden (Interesse an der Weitergabe bzw Publikation bestimmter Informationen; Meinungsäußerungs-, Presse- oder Wissenschaftsfreiheit), des Mitteilungsempfängers, des Betroffenen (insb Grad und Umfang der möglichen Schädigung) und ggf auch der Allgemeinheit (insb Informationsinteressen, ggf auch Grundrechte, zB Schutz vor Gesundheitsgefährdungen durch ein Produkt). Bei der Fahrlässigkeitsprüfung sind ähnliche Kriterien zu berücksichtigen, insb steht der Umfang der Prüfungspflicht des Äußernden mit der möglichen Rechtsgutsgefährdung und den Allgemeininteressen im Zusammenhang. ZB bestehen geringere Prüfungspflichten bei großem Interesse der Allgemeinheit an rascher Weitergabe von Informationen (zB LG Wiesbaden NJW 01, 2977, 2978 ff [LG Wiesbaden 22.06.2001 - 9 O 18/01]), hingegen höhere Anforderungen bei starker Rechtsgutsgefährdung (zB bei Mitteilungen an die SchuFa, Frankf NJW-RR 88, 562, 564, oder Warentests, BGH NJW 86, 981 f) oder hohem Verbreitungsgrad (BGH NJW 66, 2010, 2011 [BGH 21.06.1966 - VI ZR 266/64]). Auch diese enge Verknüpfung spricht für eine Einordnung des § 824 II als Entschuldigungsgrund.

 

Rn 15

Einzelfälle: Für Massenmedien gilt mit Blick auf Meinungs- und Pressefreiheit eine Pflicht zur pressemäßigen Sorgfalt (BGH NJW 87, 2225, 2226; BGHZ 132, 13, 24 mwN; ähnl NJW 97, 1148, 1150). Die Prüfungspflichten sind abgestuft ua nach Zuverlässigkeit der Informationsquelle (insb BGHZ 139, 95, 106; KG OLGR 07, 829, 830), Art der Publikation (geringere Pflichten bei Werbung und Anzeigen, insb BGHZ 59, 76, 80 ff) und Gefährdung der Rechtsgüter des Betroffenen (BGHZ 73, 120, 124 ff einerseits, BGH NJW 87, 2225, 2226 andererseits). Zur Verdachtsberichterstattung insb BGH NJW 66, 1213, 1215; BGHZ 143, 199, 203 ff mwN; NJW 10, 2432; 13, 1681; zur Verantwortlichkeit iRd Arbeitsteilung insb BeckOGK/Spindler § 824 Rz 34.2 ff. Bei Äußerungen in gerichtlichen oder behördlichen Verfahren sind die Prüfungspflichten reduziert, da hier die Wahrnehmung oder Verteidigung der Rechte des Äußernden im Vordergrund steht und zudem die Wahrheit der Äußerung im Verfahren ohnehin überprüft wird (zB BVerfG NJW 91, 29; 2074, 2075; 00, 3196, 3197; BGH NJW 65, 1803; 92, 1314, 1315 mwN), anders nur bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen (BGHZ 74, 9, 15).

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