Rn 167

Die Verkehrspflichten beim Umgang mit gefährlichen Stoffen sind Teil des größeren Gebiets der Umwelthaftung. Neben der Haftung aus § 823 II iVm umweltschützenden Normen, der Haftung nach dem UmwHG (Gefährdungshaftung des Inhabers bestimmter Anlagen mit Ursachenvermutung) und der Verantwortlichkeit nach dem USchadG ist die Haftung für Verkehrspflichtverletzung ein wichtiger Ansatzpunkt für die zivilrechtliche Umwelthaftung: Ein allg Schutz der Umwelt als ›sonstiges Recht‹ oder iRd Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nicht anerkannt und eine Verletzung von Gesundheit, Körper oder Eigentum lässt sich bei umweltgefährdenden Handlungen insb wegen des erforderlichen Grades der Beeinträchtigung und Problemen hinsichtlich der Kausalität zwischen Handlung und Rechtsgutverletzung häufig nicht nachweisen (vgl BeckOGK/Spindler § 823 Rz 800 mN; Thöne ZUR 22, 323, 324 ff). Mit Blick auf internationale Entwicklungen wird vereinzelt diskutiert, ob sich auch bestimmte umweltschützende Verkehrspflichten insb aus völkerrechtlichen Regelwerken ableiten lassen (zB Ipsen/Waßmuth/Plappert ZIP 21, 1843, 1850 f; im Ansatz auch Bach/Kieninger JZ 21, 1088, 1097 f; Verheyen/Franke ZUR 21, 624, 631 – mit Schwerpunkt auf Unterlassungsansprüchen). Hier handelt es sich allerdings, ähnlich wie bei Menschenrechtsverletzungen (Rn 175), regelmäßig um Schädigungen mit zahlreichen – meist mittelbaren – Ursachen, sodass – ganz abgesehen von allen mit einer solchen Argumentation einhergehenden schwierigen Kausalitätsfragen und der Problematik der Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verpflichtungen für einzelne Personen oder Unternehmen – eine Pflichtenbegründung allenfalls in seltenen Ausnahmekonstellationen in Betracht kommen dürfte (s dazu jetzt auch Weigelt Haftung Privater für Beiträge zum Klimawandel 22, 274 ff). Zudem könnte hier zwischen Unterlassungs- bzw Beseitigungsansprüchen einerseits und Schadensersatzansprüchen andererseits zu differenzieren sein. Wichtige umweltschützende Verkehrspflichten sind insb solche, die sich aus der Herrschaft über bestimmte Gefahrenquellen ergeben, va die Pflichten zum umweltschonenden Umgang mit gefährlichen Stoffen (s.o. Rn 166) und zur umweltschonenden Entsorgung von Abfall (BGHZ 63, 119, 123 f – zur Vertragshaftung, aber mit Implikationen für die Deliktshaftung; Köln NJW-RR 90, 793; Hamm NJW-RR 90, 794 f [OLG Hamm 08.02.1990 - 6 U 143/89]). Für eine Delegation der Pflichten, insb im Entsorgungsbereich, gelten – trotz der Spezialregelung in § 22 KrWG (dazu insb BeckOGK/Spindler § 823 Rz 805 mwN) – die allg Regeln (s.o. Rn 126 f; vgl auch BGH NJW 76, 46, 47 f; Dresd VersR 95, 836; Ddorf NJW-RR 96, 1426, 1427 f). Praktisch wichtig sind weiterhin Pflichten zum Gewässerschutz (BGH MDR 68, 395; NJW 76, 46, 47 f [BGH 07.10.1975 - VI ZR 43/74]; 02, 818, 820 [BGH 22.11.2001 - III ZR 322/00]; Brandbg BeckRS 11, 11805), der praktisch allerdings in erster Linie über § 89 WHG gewährleistet ist (BeckOGK/Spindler § 823 Rz 810), sowie solche im Zusammenhang mit Tankanlagen, insb der Schutz gegen Auslaufen (BGHZ 142, 227, 233; Zweibr NJW-RR 00, 1554, 1555) und beim Befüllen (zB BGH VersR 70, 812, 813; NJW 93, 2740; 95, 1150).

 

Rn 168

Wegen der besonderen Nachweisschwierigkeiten bei Umweltschäden kommen bei der Umwelthaftung Beweiserleichterungen für den Geschädigten in Betracht. IRd haftungsbegründenden Kausalität (zwischen Verkehrspflichtverletzung, insb Emission, und Rechtsgutverletzung) legt die Überschreitung öffentlich-rechtlicher Grenzwerte Beweiserleichterungen nahe: Sie stellt zumindest ein Indiz für das Vorliegen der haftungsbegründenden Kausalität dar (vgl BGHZ 92, 143, 146 f; NJW 97, 2748 f), teilw wird für solche Fälle sogar eine Beweislastumkehr befürwortet (BGHZ 92, 143, 146 ff; NJW 97, 2748 f; diff BeckOGK/Spindler § 823 Rz 813 ff mwN, auch zur Gegenansicht). Weiterhin kommt ein Anscheinsbeweis in Betracht, wenn nur eine bestimmte Ursache mit hoher Wahrscheinlichkeit die Rechtsgutverletzung herbeigeführt haben kann (BGHZ 17, 191, 196; Hamm NJW 88, 1031 f). Das Verschulden des Handelnden wird vermutet (BGHZ 92, 143, 147 ff), weil der Geschädigte keinen Einblick in interne Vorgänge beim Emittenten hat (BeckOGK/Spindler § 823 Rz 817 mwN), aber die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Grenzwerte ist regelmäßig zur Entlastung ausreichend (BGHZ 92, 143, 151 f), sofern nicht ausnahmsweise konkrete Anhaltspunkte für eine Erforderlichkeit weitergehender Sicherungsmaßnahmen vorliegen (BGH NJW 97, 2748, 2749 f [BGH 17.06.1997 - VI ZR 372/95]).

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