Rn 216

Die Behandlungspflicht erstreckt sich von der Prävention über die Therapie bis zur Erstellung eines Arztberichts (dazu insb BGH NJW 94, 797, 798 f [BGH 05.10.1993 - VI ZR 237/92]; Kresse/Dinser MedR 10, 396 ff) und zur Nachsorge. Eine medizinisch gebotene Behandlung muss überhaupt, rechtzeitig, im richtigen Maß, kunstgerecht und ohne Begleitfehler (zB Zurücklassen von Gegenständen, Herbeiführen einer Infektion) erfolgen. Grds besteht Therapiefreiheit (zu Abweichungen von der Schulmedizin und Außenseitermethoden insb BGHZ 168, 103; 172, 1 Rz 10 ff: Heilungsversuch mit noch nicht zugelassenem Arzneimittel; NJW 07, 2774 Rz 10 ff; 17, 2685 Rz 6; Staud/J Hager § 823 Rz I 21 f; MüKo/Wagner § 630a Rz 130 ff; NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 374 ff; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 844 ff). Maßstab ist grds der aktuelle Standard der medizinischen Wissenschaft und der ärztlichen Erfahrung, wie er in der Profession akzeptiert ist, im Zeitpunkt der Behandlung (BGHZ 113, 297, 303 f; 144, 296, 305 f; NJW 01, 1786, 1787; GesR 08, 361 Rz 6; NJW 15, 1601 Rz 10, alle mwN), der idR unter Heranziehung von Sachverständigen zu ermitteln ist (BGH NJW 15, 1601 [BGH 24.02.2015 - VI ZR 106/13] Rz 10 mwN) und eine sorgfältige Abwägung im Einzelfall erfordert (BGH NJW 17, 2685 [BGH 30.05.2017 - VI ZR 203/16] Rz 7 mwN); zur Haftung für Medizinprodukte Koyuncu/Dahm-Loraing PHI 09, 172, 175 ff; Droste MPR 18, 109, 112 f, zu Bedienungsfehlern beim Einsatz von Medizintechnik Kunz-Schmidt MedR 09, 517, 520 ff. Im Einzelfall können Abstufungen in Betracht kommen, insb nach Behandlungsmethode (strengere Maßstäbe bei Außenseitermethoden, BGHZ 172, 1 Rz 17 ff, dazu Katzenmeier JZ 07, 1108 ff; BGH VersR 20, 168 Rz 14 ff mwN zur erforderlichen Abwägung bei nicht anerkannten Behandlungsmethoden), spezifischen Qualifikationen des behandelnden Arztes (BGHZ 113, 297, 304; NJW 94, 3008, 3009) bzw Spezialisierung der Klinik (NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 370 ff). Letztlich geht es hier immer um Verschärfungen, nie um Milderungen des Pflichtenstandards; ein Mindest-Qualitätsstandard, für den die Kenntnisse eines Facharztes auf dem betreffenden Gebiet maßgeblich sind (zB BGHZ 88, 248, 254; NJW 87, 1479, 1480; 95, 776, 777; 99, 1778, 1779; Karlsr NJW-RR 06, 458; München NJOZ 06, 4538, 4539), muss überall – auch unter evtl ungünstigen äußeren Bedingungen (zum Übernahmeverschulden wegen Übermüdung Büchner/Stöhr NJW 12, 487, 490 f) – gewahrt bleiben (so auch zB NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 371). Es handelt sich dabei um eine Ausprägung allgemeiner Grundsätze für den Sorgfaltsmaßstab (und damit genau genommen um eine Frage des Verschuldens), der objektiv zu bestimmen ist, aber mit der Möglichkeit einer Verschärfung bei besonderen individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen (§ 276 Rn 15). Ökonomische Gesichtspunkte hat die Rspr bei der Bestimmung des Pflichtenstandards hier bislang idR nicht berücksichtigt (BGH NJW 54, 1536, 1537 – zum Strafrecht; 83, 2080, 2081; anders aber VersR 75, 43 f; Oldbg VersR 95, 49 f; Köln VersR 99, 847 f). In der Lit wird über eine Relativierung der Standards unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten diskutiert (zB Michalski VersR 96, 265 ff; Laufs NJW 00, 1757, 1763 f; MüKo/Wagner § 630a Rz 137 ff; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 850 ff; NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 373; ders FS G Müller 237 ff mwN). Noch der Konkretisierung bedürfen die Pflichtenstandards bei der Arbeitsteilung, zB für untergeordnete Ärzte (dazu zB Brandbg VersR 10, 1601, 1602 mwN: Assistenzarzt darf idR auf vom Facharzt angeordnete Maßnahmen vertrauen; sehr hohe Anforderungen an einen Assistenzarzt stellt hingegen ArbG Düsseldorf BeckRS 10, 65732) oder Durchgangsärzte (s insb Bremen MedR 10, 502; Oldbg VersR 10, 1654, 1655 einerseits, Schlesw NJW-RR 08, 41 andererseits; s.a. BGH VersR 10, 768); zur Aufklärung zB Köln VersR 11, 81, 82 f.

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