Rn 210

Die im Arzthaftungsrecht wichtigste Form der Aufklärung ist die Selbstbestimmungsaufklärung über Möglichkeiten und Wirkungen der Behandlung (Diagnose, Behandlungsmethoden und -alternativen, Verlauf, Risiken) als Grundlage für die Einwilligung des Patienten aufgrund einer Abwägung zwischen Chancen und Risiken der Behandlung (grundl BGHZ 29, 176, 180 mwN; weiterhin zB BGHZ 90, 103, 105 f; NJW 05, 1718; BGHZ 168, 103 Rz 13 ff mwN; NJW 09, 1209 Rz 11 ff; VersR 10, 115 Rz 11; NJW 15, 477 Rz 12; 19, 1283 Rz 18 mwN; Hassner VersR 13, 23; Frahm NJW 22, 2899, 2900 f; zur Verschuldensfrage Hausch VersR 09, 1178 ff; zur Aufklärung über Medizinprodukte Koyuncu/Dahm-Loraing PHI 09, 218 ff). Der Umfang der erforderlichen Aufklärung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insb nach Dringlichkeit und Risiken der Maßnahme, dh die Anforderungen an die Aufklärung steigen mit abnehmender Dringlichkeit (hier kann abgestuft werden zwischen dringlichen, sonstigen therapeutischen, diagnostischen, kosmetischen und fremdnützigen Eingriffen – zB Blutspende, BGHZ 166, 336), mit zunehmenden Risiken des Eingriffs (s zB BGH NJW 73, 556, 557; 91, 2349 mwN; 98, 1784, 1785; VersR 15, 579 Rz 6 mwN; aber auch über seltene Risiken ist aufzuklären, BGH NJW 15, 74 Rz 6, ebenso bei einer Veränderung des Risikos, BGH VersR 15, 579 Rz 8; 17, 43 Rz 5) sowie bei neuen Behandlungsmethoden (BGHZ 168, 103 Rz 14 ff, dazu insb Katzenmeier NJW 06, 2738, 2739 f; BGHZ 172, 1 Rz 31 f zur Aufklärung beim Arzneimittel-Heilversuch, dazu insb Katzenmeier VersR 07, 1108, 1110 f; BGHZ 172, 254 Rz 24 ff, dazu insb Spickhoff MedR 08, 89 f; BGH NJW 11, 1088 Rz 12 ff zum Strafrecht; BGH VersR 21, 1046 Rz 11 f; zur Aufklärung bei Fernbehandlung Katzenmeier NJW 19, 1769, 1773 f). Die Methodenwahl steht grds im Ermessen des Arztes; Behandlungsalternativen sind nach der Rspr aber anzuführen, wenn mehrere gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden mit unterschiedlichen Chancen und Risiken existieren, so dass eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten besteht (BGH NJW 74, 1422, 1423; BGHZ 102, 17, 22; NJW 05, 1718 mwN; VersR 11, 1146 Rz 10 ff; 1450 Rz 6; BGHZ 192, 298 Rz 11; VersR 14, 586 Rz 8; 18, 1510 Rz 23). Das kann im Einzelfall zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen. Entscheidend für den Umfang der Aufklärungspflicht ist der Stand medizinischer Erfahrung im jeweiligen Fachgebiet im Zeitpunkt der Behandlung (BGH VersR 10, 1220 Rz 12; NJW 11, 375 Rz 8; VersR 18, 1001 Rz 9). Einschränkungen der Selbstbestimmungsaufklärung kommen im Einzelfall zum Wohl des Patienten in Betracht bei drohender starker Belastung und insb bei Erhöhung des Eingriffsrisikos durch die Aufklärung, zB wenn zu befürchten ist, dass der Patient in eine dringend gebotene Maßnahme nicht einwilligt (humanitäres Prinzip/therapeutisches Privileg). Vom Vorliegen einer derartigen Situation geht die Rspr nur in Ausnahmefällen aus, wenn durch die Aufklärung ›das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet würden‹, was bei ausschließlich psychischen Beeinträchtigungen nicht ohne weiteres der Fall ist (BGHZ 29, 46, 56 f mwN; 176, 182 f; 90, 103, 109 f; 107, 222, 226 f). Die Aufklärung als Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung in die ärztliche Behandlung ist letztlich auf das Persönlichkeitsrecht des Patienten zurückzuführen. Daher sind die Grundsätze zur Aufklärung nicht ohne weiteres auf die tierärztliche Behandlung übertragbar (KG ZGS 05, 407; Kobl MDR 13, 30; Dresd NJW-RR 20, 405, 407), können aber im Einzelfall in vergleichbarer Weise greifen (Kobl MDR 13, 30 [BGH 18.10.2012 - III ZR 197/11]).

 

Rn 211

Die Aufklärung muss grds durch den behandelnden Arzt erfolgen, nicht durch medizinisches Hilfspersonal (BGH NJW 74, 604, 605; 84, 1807, 1808 f mwN); an eine Delegation stellt der BGH strenge Anforderungen (BGHZ 169, 364 Rz 9 ff, dazu zB Jungbecker VersR 07, 211 f; krit Deutsch VersR 07, 210 f; Katzenmeier JZ 07, 643 f; zur möglichen Beschränkung auf den Aufgabenbereich des Arztes bei horizontaler Arbeitsteilung Köln NJW-RR 09, 960, 961 f [OLG Köln 03.09.2008 - 5 U 51/08] – iE abgelehnt). Allerdings kann bei Begründung einer entsprechenden Vertrauens- und damit Garantenstellung ausnahmsweise auch die Aufklärung durch einen Arzt, der den Eingriff nicht selbst vornimmt, im Einzelfall haftungsbegründend wirken (BGH NJW 15, 477 [BGH 21.10.2014 - VI ZR 14/14] Rz 14 ff). Die Aufklärung muss – soweit möglich – rechtzeitig vor einem Eingriff stattfinden, um dem Patienten eine eigenverantwortliche Entscheidung über seine Einwilligung in die Behandlung unter Abwägung aller relevanten Faktoren zu ermöglichen (s insb BSG VersR 83, 956, 957; BGH NJW 85, 1399, 1400; BGHZ 144, 1, 12 mwN; NJW 03, 2012, 2013 f mwN; 07, 217 Rz 10; Kobl MDR 08, 507; Frankf BeckRS 09, 10888; Ausn: Naumbg VersR 08, 224 zur mutmaßlichen Einwilligung in kurzfristig notwendige, nicht vorhersehbare Operationserweiterung). Entscheidend ist in erster Linie die Bedeutung, die das Risiko für die Entschließ...

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