Rn 219

Die größte Bedeutung der von der Rspr entwickelten Regeln zur Arzthaftung liegt – wie bei der Produkthaftung – im Beweisrecht, insb bei den Modifikationen der Beweislast. Grds hat der Patient das Vorliegen einer Pflichtverletzung des Arztes sowie einer Körper- oder Gesundheitsverletzung, die Kausalität zwischen beiden (Bsp für eine besonders weitgehende Zurechnung sogar von Fehlern des zweitbehandelnden Arztes, wenn es sich nicht um besonders grobe Behandlungsfehler handelt: Hamm RDG 17, 142), das Verschulden des Arztes (BGH NJW 80, 1333 [BGH 22.01.1980 - VI ZR 263/78]; 99, 860, 861 mwN), Schaden und haftungsausfüllende Kausalität darzulegen und zu beweisen (zB BGH NJW 91, 1540 [BGH 18.12.1990 - VI ZR 169/90]; 99, 860, 861), wobei die Anforderungen an die Substantiierungslast nicht zu hoch angesetzt werden dürfen (BGH VersR 19, 553 Rz 15 ff mwN). Hingegen muss nach der Rspr der Arzt darlegen und beweisen, dass er den Patienten ordnungsgemäß aufgeklärt hat (BGH NJW 86, 1541, 1542 [BGH 01.10.1985 - VI ZR 19/84]; 87, 1481 [BGH 13.01.1987 - VI ZR 82/86]; BGHZ 192, 298 Rz 10; ausf NJW 14, 1527 [BGH 28.01.2014 - VI ZR 143/13] Rz 11 ff unter Hinweis auf ›erheblichen Freiraum‹ des Tatrichters bei der Beurteilung und auf die Bedeutung der Dokumentation der Aufklärung; BGH NJW 15, 74 [BGH 30.09.2014 - VI ZR 443/13] Rz 9), da die auf einer solchen Aufklärung beruhende wirksame Einwilligung als Rechtfertigungsgrund angesehen wird (s.o. Rn 207). Bei einem rechtswidrig ausgeführten Eingriff muss der Arzt zudem beweisen, dass der Patient ohne den Eingriff dieselben Beschwerden haben würde, weil sich das Grundleiden in mindestens ähnlicher Weise ausgewirkt haben würde (BGH MDR 16, 822 Rz 14). Da §§ 286 f ZPO jedenfalls in Arzthaftungsprozessen auf deliktsrechtlicher Grundlage keine große Rolle spielen (dazu insb NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 422 ff mwN; Katzenmeier Arzthaftung 4 ff, 429 ff; zum Anscheinsbeweis zB BeckOGK/Spindler § 823 Rz 1098 f; Foerste FS Deutsch [09] 165, 168 ff; s aber auch BGHZ 11, 227, 230; NJW 07, 2767 Rz 14; 08, 1381 Rz 9 mwN; VersR 14, 632 Rz 5), sind die allgemeinen Grundsätze der Beweiswürdigung (insb in Bezug auf den bei der Arzthaftung häufig zentralen Sachverständigenbeweis, s dazu zB BGH VersR 01, 859 Rz 11 mwN; 10, 1220 Rz 14) sowie die in der Rspr entwickelten Beweiserleichterungen von zentraler Bedeutung. Sofern sich die Beweislage trotz dieser weitreichenden Modifikationen der Beweislast für den Patienten als ungünstig darstellt, kann häufig auf die Behauptung nicht ordnungsgemäßer Aufklärung ausgewichen werden, die vom Arzt widerlegt werden muss (s.o. Rn 212). Um einem Missbrauch der Aufklärungsrüge entgegenzuwirken, stellt die Rspr keine allzu hohen Beweisanforderungen an den Arzt zur Widerlegung dieser Rüge (vgl nur BGH NJW 81, 2002, 2003 f [BGH 10.03.1981 - VI ZR 202/79]; 85, 1399 [BGH 08.01.1985 - VI ZR 15/83] mwN; krit zB NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 449).

a) Pflichtverletzung.

 

Rn 220

In Bezug auf die Pflichtverletzung kommt aufgrund allg Grundsätze (Sphärenbetrachtung, Waffengleichheit im Zivilprozess) eine Beweislastumkehr in denjenigen Bereichen in Betracht, die für Arzt oder Krankenhaus als ›voll beherrschbar‹ angesehen werden, insb beim Einsatz medizinisch-technischer Geräte und Materialien (zB BGH VersR 75, 952, 954; NJW 82, 699 f; 91, 1541, 1542 f; VersR 07, 1416; 18, 1510 Rz 32 mwN; sehr weitgehend Zweibr NJOZ 07, 4519, 4521; einschr, aber kaum überzeugend München OLGR 07, 203; zutr Einschränkung: Bremen MedR 10, 566), bei Verletzungen im Zusammenhang mit konkret geschuldeten Hilfeleistungen (KG OLGR 08, 505 f), in Bezug auf notwendige Maßnahmen (zB ordnungsgemäße Lagerung des Patienten während der Operation, BGH NJW 84, 1403 f; 95, 1618; VersR 18, 38 Rz 10, beide mwN; Grenzen: Jena OLGR 07, 677, 678; Köln OLGR 08, 796 ff; Kobl VersR 10, 629; Hamm BeckRS 11, 14480), Einhaltung von Hygienevorschriften (BGHZ 171, 358 Rz 9 ff – insb in Bezug auf das Verschulden, Entsprechendes dürfte bei der Deliktshaftung aber auch für die Pflichtverletzung gelten; s jetzt auch BGH GesR 19, 569 Rz 12; BGHZ 221, 139 Rz 14 ff; NJW-RR 20, 720 Rz 12 zur sekundären Darlegungslast; für eine Kausalitätsvermutung in diesem Bereich J Hager FS Vieweg 197, 201 ff; Grenzen: BGH BeckRS 06, 03932; Hamm BeckRS 08, 23874), vereinzelt auch bei Verletzung von Organisationspflichten, etwa beim Einsatz offensichtlich ungeeigneter Personen zur Behandlung (zB BGHZ 88, 248, 256 f; NJW 96, 2429, 2430 f), nicht aber bei jeglichen Organisationsfehlern (BGH VersR 21, 508 Rz 22 mwN). Zum Anscheinsbeweis bei Bluttransfusion und später festgestellter HIV-Infektion BGHZ 163, 209, 212 ff. Ist eine Maßnahme nicht oder nicht hinreichend dokumentiert, wird vermutet, dass sie unterblieben ist (zB BGH NJW 78, 1681, 1682; BGHZ 129, 6, 9 f; NJW 99, 3408, 3409; 20, 1071 Rz 9; zur Widerlegung der Vermutung zB Kobl VersR 09, 1077, 1078; ausf zu Dokumentations- und Befundsicherungspflichten BeckOGK/Spindler § 823 Rz 1109 ff; Steffen FS Deutsch [99] 330 f...

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