Rn 208

Die Pflichten des Arztes werden hier in chronologischer Reihenfolge dargestellt. IRd Deliktshaftung stellen sie sich als Ausprägung der Verkehrspflichten (Berufspflichten) dar. Sie sind immer wieder neu durch die Rspr zu konkretisieren, die sich dabei auf ärztlichen Sachverstand, insb auf Gutachten (die krit zu würdigen sind, BGHZ 172, 254 Rz 20; NJW 08, 2846 Rz 21 mwN; zum Verhältnis zwischen gerichtlich eingeholten und anderen Gutachten insb BGH VersR 08, 1216 Rz 6 mwN; zu den Grenzen der Anwendung eigener Sachkunde des Gerichts BGH NJW 21, 1536 Rz 12 ff), aber auch auf ärztliche Leitlinien stützt (an Letztere sind die Gerichte nicht gebunden, vgl insb MüKo/Wagner § 630a Rz 126; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 839; Hart [Hrsg] Ärztliche Leitlinien 00; Steffen FS Deutsch [09], 615, 622 ff; Taupitz AcP 2011, 352, 379 ff; BGH GesR 08, 361 Rz 4; VersR 14, 879 Rz 17; sehr weitgehend Köln MedR 09, 669, dazu Schaub MedR 09, 669, 671; eine genaue Beweiserhebung bleibt erforderlich, BGH VersR 11, 1202 Rz 2). Die Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Pflichten des Arztes kann für die Beweislast (s.u. Rn 219 ff), aber auch für den Verjährungsbeginn (s insb BGH NJW 17, 949 [BGH 08.11.2016 - VI ZR 594/15] Rz 10 ff) von Bedeutung sein (zu einer Abgrenzung zwischen Diagnose- und Befunderhebungsfehlern aus medizintheoretischer Sicht Kolvenbach MedR 18, 950). In neuerer Zeit wird im Zusammenhang mit der gerichtlichen Klärung einer etwaigen Verletzung ärztlicher Pflichten immer wieder auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt (s zB BGH NJW 16, 639 Rz 2 ff; 641 Rz 5 ff; 713 Rz 4 ff; VersR 17, 43 Rz 6 ff; 18, 38 Rz 6 ff; 379 Rz 14 ff; 1001 Rz 6 ff; 19, 1754 Rz 5 ff; GesR 19, 569 Rz 6 ff; NJW-RR 20, 720 Rz 7 ff; MDR 21, 98 Rz 12 ff; NJW 21, 1536 Rz 10 ff; VersR 21, 1060 Rz 8 ff; NJW 22, 2682 Rz 5 ff).– Str ist, ob bei einem zufällig am Unglücksort anwesenden Arzt bei Notfallmaßnahmen die Haftung analog § 680 einzuschränken (dafür zB H Roth NJW 06, 2814, 2816; Spickhoff NJW 09, 1716, 1717 f; Ddorf NJW-RR 08, 1474, 1475 [OLG Düsseldorf 13.12.2007 - I-8 U 27/07]) oder von ihm die Anwendung berufsüblicher Sorgfalt zu verlangen ist (so wohl München NJW 06, 1883, 1885 [OLG München 06.04.2006 - 1 U 4142/05]; vgl auch Katzenmeier Arzthaftung 110 f; Laufs/Kern/Rehborn Handbuch des Arztrechts § 96 Rz 29 f).

a) Untersuchung und Diagnosestellung.

 

Rn 209

Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten umfassend zu untersuchen und eine Diagnose zu stellen. Ein deliktsrechtlich relevanter Behandlungsfehler liegt aber nicht bei jeder objektiv unrichtigen Diagnose, sondern nur unter besonderen Umständen vor, zB beim Unterlassen einer notwendigen Befunderhebung (s zB BGH NJW 61, 2203, 2204; BGHZ 85, 212, 217 f; 99, 391, 398 f; 138, 1, 5 ff; NJW 03, 2827 f mwN; NJW-RR 08, 263 Rz 13; VersR 14, 374 Rz 19: Verschiebung umgehend erforderlicher weiterer diagnostischer Maßnahmen; NJW 20, 2468 Rz 10: Auffälligkeiten dürfen nicht einfach übergangen werden; VersR 21, 1060 Rz 12; ausf Staud/J Hager § 823 Rz I 23 ff; zu möglichen Befunderhebungsfehlern bei Fernbehandlung Katzenmeier NJW 19, 1769, 1772 f; Herkenratz Ärztliche Fernbehandlung 22, 233 ff) oder bei Unterbleiben notwendiger Maßnahmen aufgrund einer Fehldiagnose – hier kann allerdings der Kausalitätsnachweis problematisch sein (s zB BGH NJW 95, 778 mwN; BGHZ 132, 47, 51 ff; Köln NJW 06, 69, 70; München NJOZ 06, 4538, 4539; Kobl NJW-RR 07, 532, 533; Oldbg BeckRS 09, 8973). Eine bewusste Fehldiagnose dürfte hingegen einen Aufklärungsfehler begründen (Kobl NJW-RR 07, 1622 in Bezug auf Schönheitsoperation). Vom Befunderhebungsfehler (mit abweichender Beweislastverteilung, s.u. Rn 222 f) unterscheidet sich der Diagnosefehler dadurch, dass erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die gebotenen Maßnahmen ergriffen werden (BGH VersR 81, 1033, 1034; NJW 88, 1513, 1514; 93, 2375, 2377; BGHZ 188, 29 Rz 13 mwN; VersR 14, 374 Rz 19; NJW 16, 1447 Rz 6; 20, 2468 Rz 20; umf Kniepert Befunderhebung oder Diagnose? 20; zu Diagnosefehlern bei Fernbehandlung Herkenratz Ärztliche Fernbehandlung 22, 241 ff).

b) Aufklärung.

aa) Selbstbestimmungsaufklärung.

 

Rn 210

Die im Arzthaftungsrecht wichtigste Form der Aufklärung ist die Selbstbestimmungsaufklärung über Möglichkeiten und Wirkungen der Behandlung (Diagnose, Behandlungsmethoden und -alternativen, Verlauf, Risiken) als Grundlage für die Einwilligung des Patienten aufgrund einer Abwägung zwischen Chancen und Risiken der Behandlung (grundl BGHZ 29, 176, 180 mwN; weiterhin zB BGHZ 90, 103, 105 f; NJW 05, 1718; BGHZ 168, 103 Rz 13 ff mwN; NJW 09, 1209 Rz 11 ff; VersR 10, 115 Rz 11; NJW 15, 477 Rz 12; 19, 1283 Rz 18 mwN; Hassner VersR 13, 23; Frahm NJW 22, 2899, 2900 f; zur Verschuldensfrage Hausch VersR 09, 1178 ff; zur Aufklärung über Medizinprodukte Koyuncu/Dahm-Loraing PHI 09, 218 ff). Der Umfang der erforderlichen Aufklärung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insb nach Dringlichkeit und Risiken der Maßnahme, dh die Anforderungen an die Aufklärung steigen mit abnehmender Dringlichkeit (hier kann ...

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