Rn 29

§ 275 III gibt dem Schuldner eine weitere, ebenfalls als Einrede ausgestaltete Verteidigungsmöglichkeit, wenn eine persönliche Naturalerfüllung in Abwägung mit dem Gläubigerinteresse unzumutbar ist (Ausn: § 327l II 3, s Rn 18). Grundvoraussetzung ist, dass der Schuldner die Leistung persönlich zu erbringen hat (BGH BeckRS 16, 17022 Rz 17 (Auskunftsanspruch, der durch andere erfüllt werden kann; zu dem Erfordernis generell Löwisch NZA 01, 465 f; NK/Dauner-Lieb § 275 Rz 58). Daher scheidet eine Anwendung der Vorschrift auf juristische Personen, insbes solche des Öffentlichen Rechts, aus (vgl BGHZ 99, 182 [Überlassung der Stadthalle an eine rechtsextreme Vereinigung durch die Gemeinde]; aA Hauck/Stephan JuS 12, 585, 587). Eine entspr Anwendung auf juristische Personen ist freilich geboten, soweit die betroffene Pflicht einen hinreichenden personalen Bezug aufweist; bei persönlicher Unzumutbarkeit der Leistungserbringung für die Beschäftigten kann dem Arbeitgeber dann die Einrede nach § 275 III zustehen.

 

Rn 30

Materielle Voraussetzung für die Unzumutbarkeit ist die außergewöhnlich hohe personale Belastung des Schuldners (im Gegensatz zur wirtschaftlichen nach Abs II) durch die Leistungserbringung (BAG AP BGB § 626 Nr 256 Rz 26). Unzumutbarkeit kann insbesondere eintreten, wenn bedeutsame Rechtsgüter des Schuldners gefährdet werden (Staudinger/Caspers (2014) § 275 Rz 112 [Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit]). Praktisch bedeutsam sind zudem va Pflichtenkollisionen bei Dienstleistungen iwS. Bsp: Eine Sängerin kann etwa wegen Erkrankung ihres Kindes nicht auftreten (Löwisch NZA 01, 465 f); der Arbeitnehmer erscheint nicht zur Arbeit, weil er seinen Wehrdienst (dessen Verweigerung unter Androhung der Todesstrafe steht) in seinem Heimatland ableistet (NK/Dauner-Lieb § 275 Rz 61). Die Arbeiterin in einer Druckerei lehnt die Mitarbeit bei der Herstellung pornografischer, Frauen entwürdigender Schriften ab; der Arzt verweigert aufgrund religiöser Überzeugung im Krankenhaus die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs (jeweils Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 486). In den Stromboykott-Fällen (etwa Hamm NJW 81, 2473 [OLG Hamm 01.07.1981 - 8 U 19/81]) wurde jeweils um ein behauptetes Recht der Kunden zur (Atom-)Stromrechnungskürzung aus Gewissensgründen gestritten, die Unzumutbarkeit jedoch zu Recht verneint. Größere praktische Bedeutung haben die Grenzen des Direktionsrechts des Arbeitgebers nach § 106 I GewO (BAG AP § 611 – Direktionsrecht – Nr 27 Anm Brox BAG AP § 611 – Gewissensfreiheit – Nr 1 Anm Kraft/Raab und Berger-Belhey). Allerdings wird eine von § 275 III erfaßte Sachlage idR bereits die Weisung des Arbeitsgebers vertragswidrig sein lassen (BAG NJW 11, 3319 [BAG 24.02.2011 - 2 AZR 636/09] Rz 30 ff; übersehen von Krieger/Herzberg BB 12, 1089 [Japan und Fukushima]). Der Suizidversuch eines Beteiligten an einem Bundesligaspiel kann dementsprechend für die beteiligten Vereine eine Unzumutbarkeit der Spieldurchführung auch ggü Dritten ergeben, § 275 III analog (Hauck/Stephan JuS 12, 585, 587 f [§ 275 III unmittelbar]).

 

Rn 31

Freilich geht es in § 275 III nur um die Berechtigung, Naturalerfüllung zu verweigern, was es erlauben dürfte, die Schwelle der Zumutbarkeit eher abzusenken. Schadensersatzansprüche gegen den Nacherfüllung Verweigernden bleiben möglich, sofern nicht die Pflichtenkollision auch auf der Verantwortungsebene, dh bei der Voraussetzung, dass der Schuldner seine Pflichtverletzung zu vertreten hat, entlastend wirkt. Haftung ist etwa bei voraussehbaren Pflichtenkollisionen als bei Vertragsschluss erkennbaren Leistungshindernissen – s § 311a II 2 – möglich, etwa wenn dem Arzt bei Abschluss seines Dienstvertrages bekannt war, dass im Krankenhaus (straffreie) Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Die Leistungsweigerung ist auch hier stets eine Frage der Abwägung im Einzelfall: Steht das Leben eines Menschen auf dem Spiel, sollte eine vom Arzt als Erfüllung seines Dienstvertrages verlangte Leistung kaum je nach § 275 III verweigert werden dürfen.

 

Rn 32

Mit Hilfe von § 275 III lassen sich schließlich auch solche Fälle lösen, in welchen die vom Schuldner zu erbringende Leistung am Markt zwar vorhanden ist, also beschafft werden kann, der betreffende Anbieter sich jedoch weigert, dem Schuldner behilflich zu sein (der Sache nach ebenso BGHZ 195, 195 Rz 35). Während § 275 II in Fällen dieser Art die Frage beantwortet, welchen wirtschaftlichen Aufwand der Schuldner betreiben muss, zieht § 275 III seinem persönlichen Einsatz eine Grenze: Allein der Umstand, dass der Schuldner ggü zwei Gläubigern verpflichtet ist, genügt jedoch noch nicht für die Annahme von Unzumutbarkeit (BGHZ 195, 195 Rz 35). Der Schuldner muss sich jedoch keinesfalls so verausgaben, dass die Grenzen des ihm persönlich Zumutbaren – insbes seine Würde – in Mitleidenschaft gezogen werden (s Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 488). Bei Verpflichtungen ggü zwei Gläubigern – etwa beim Doppelverkauf – kommt dabei der Reihe...

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