Rn 20

Subjektive Kooperationsbereitschaft und objektive Kooperationsfähigkeit der Eltern sind notwendige Voraussetzungen für die gemeinsame Sorge (KG NJW-FER 00, 175; FamRZ 00, 502; 00, 504; 05, 1768; 07, 754, 755; 11, 122, 123; Brandbg FamRZ 08, 1474, 1475; 09, 709; 1758; 14, 322; 1856; Dresd FamRZ 00, 109; Hamm FamRZ 02, 18; 565; 07, 756; 757; 12, 1064; Karlsr FamRZ 00, 1041; 10, 391; Köln FamRZ 05, 1275; 13, 47; München FamRZ 02, 189; Oldbg FamRZ 98, 1464; Stuttg FamRZ 99, 1596; Saarbr FamRZ 12, 1064; Kobl FamRZ 14, 1855; Celle FamRZ 16, 385, 386; J/H/A/Lack § 1671 Rz 36; FA-FamR/Maier Kap 4 Rz 215 ff; ausnahmsweise anders Frankf FamRZ 17, 806). Die Eltern müssen gewillt und in der Lage sein auch künftig gemeinsam die Erziehungsverantwortung zu tragen und ihre persönlichen Interessen und Differenzen zurückzustellen (J/H/A/Lack § 1671 Rz 36; FA-FamR/Maier Kap 4 Rz 216). Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen (BverfG FamRZ 95, 789, 792; 03, 285, 289; BGH FamRZ 08, 251, 254; Saarbr FamRZ 10, 385, 386; 1064; Jena FamRZ 11, 1070; Stuttg FamRZ 14, 1715. Kindern darf nicht zugemutet werden, erhebliche emotionale Konflikte der Eltern zu ertragen, in die sie zwangsläufig einbezogen werden (Brandbg FamRZ 14, 1653). Allein die Inhaftierung eines Elternteils lässt die Kooperationsfähigkeit nicht entfallen (Rostock FamRZ 15, 338); anders ggf bei langjähriger Haftstrafe wegen Tötungsdelikts (Celle FamRZ 20, 428).

 

Rn 21

Problematisch ist, wann vom Fehlen der erforderlichen Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit auszugehen ist. Dies hängt entscheidend davon ab, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird (BGH FamRZ 99, 1646, 1648). Das bedeutet einerseits, dass nicht jede Spannung oder Streitigkeit zwischen getrenntlebenden Eltern das gemeinsame Sorgerecht ausschließt, andererseits aber auch, dass nicht zwingend ein Streit über Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung iSd § 1687 I 1 vorliegen muss, um von einer fehlenden Kooperationsbereitschaft auszugehen (Stuttg FamRZ 99, 1596; Celle FamRZ 03, 1488; 08, 637; 16, 385, 386). Vielmehr genügen zumindest Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge (BGH FamRZ 99, 1646, 1647; 08, 592, 593). Nach richtiger Ansicht kann es auf die Bedeutung der streitigen Sache aber nicht ankommen, sondern ausschl auf die Auswirkungen für das Kind (vgl auch Oelkers MDR 00, 32, 33; Born FamRZ 00, 396, 399; J/H/A/Lack § 1671 Rz 36b; Köln FamRZ 09, 62; 11, 490 f; Hamm FamRZ 00, 1039). Streitigkeiten über Nichtigkeiten können das Kind genauso – uU sogar stärker – belasten als solche über sog Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung (vgl Köln FamRZ 13, 47). Demzufolge kann es auch keine Rolle spielen, ob Entscheidungen von grds Bedeutung erst in ein paar Jahren anstehen (Stuttg FamRZ 99, 1596; Karlsr FamRZ 00, 1041, 1042; J/H/A/Lack § 1671 Rz 36c; aA wohl Brandbg FamRZ 02, 567; 03, 52; 14, 322; Köln FamRZ 08, 636, 637), zumal sich dies nur schwer vorhersagen lässt und angesichts der Dauer streitiger Verfahren eine Sorgerechtsentscheidung im Bedarfsfall nicht immer zeitnah möglich sein wird. Dem Kindswohl dient aber nur eine verlässliche und vorhersehbare Entscheidungssituation auch bei künftigen Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung. Insgesamt bedarf es einer tragfähigen sozialen Beziehung zwischen den Eltern (BGH FamRZ 08, 592, 593).

 

Rn 22

Die Eltern sind grds verpflichtet zum Wohle des Kindes zusammenzuwirken. Das bedeutet aber nicht, dass die fehlende Kooperationsbereitschaft eines Elternteils unbeachtlich und von vornherein mit einem Makel behaftet wäre (Dresd FamRZ 17, 1834, 1835; vgl auch J/H/A/Lack § 1671 Rz 39; Staud/Coester § 1671 Rz 138; aA Haase/Kloster-Harz FamRZ 00, 1003, 1005: Pflicht zur Einigung). Denn Gemeinsamkeit lässt sich nicht verordnen (BTDrs 13/4899 63). Es käme auch niemand auf die Idee, von den Eltern zu verlangen, dass sie wieder glücklich zusammenleben sollen, obwohl dies sicherlich für das Kind am besten wäre. Die Weigerungshaltung eines Elternteils muss nach wohl hM aber nachvollziehbar sein, darf nicht willkürlich erfolgen und erfordert einen differenzierten Tatsachenvortrag, der die Schwierigkeiten zwischen den Eltern anhand konkreter Vorfälle dezidiert schildert (Dresd FamRZ 00, 109; FA-FamR/Maier Kap 4 Rz 217; vgl auch Köln FamRZ 02, 1492; 11, 490, 491; Hamm FamRZ 05, 537; 14, 573; BGH FamRZ 05, 1167). Diese Auffassung begegnet Bedenken, weil sie über den Umweg einer vermeintlichen Feststellungslast im Ergebnis doch zu einem Vorrang der gemeinsamen Sorge führt. Teilweise wird auch gefordert, die Kooperationsbereitschaft im Wege einer Prognose festzustellen, die auf der Grundlage der Einigungsfähigkeit der Eltern bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung in der Vergangenheit zu treffen...

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