Rn 31

Der Förderungsgrundsatz stellt darauf ab, bei welchem Elternteil das Kind die meiste Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit erfahren kann (BVerfG FamRZ 81, 124). Das ist der Elternteil, der nach seiner eigenen Persönlichkeit, seiner Beziehung zum Kind und nach den äußeren Verhältnissen eher in der Lage zu sein scheint, das Kind zu betreuen und seine seelische und geistige Entfaltung zu begünstigen (KG FamRZ 90, 1383; Brandbg FamRZ 96, 1095). Es ist daher eine Prognose abzugeben, bei welchem Elternteil das Kind eher zu einer körperlich und psychisch gesunden, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit mit einer seinen Möglichkeiten und Bedürfnissen entspr Ausbildung heranwachsen wird (vgl Kobl FamRZ 19, 298). Schlicht ausgedrückt: Es ist zu fragen, bei wem das Kind aller Voraussicht nach besser ›geraten‹ wird. Dabei richtet der Förderungsgrundsatz das Augenmerk auf die Fähigkeiten und Möglichkeiten des jeweiligen Elternteils. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lassen sich diese unter folgenden Aspekten betrachten:

(1) Erziehungseignung im engeren Sinn und Erziehungsstil.

 

Rn 32

Welcher Elternteil besser geeignet ist, das Kind zu erziehen und welcher Elternteil das bessere Erziehungskonzept und den besseren Erziehungsstil hat, lässt sich anhand von positiven Merkmalen nur schwer feststellen, zumal man innerhalb einer gewissen Bandbreite mit Wertungen zurückhaltend sein muss. Es ist nicht Aufgabe des Familienrichters darüber zu befinden, welcher Erziehungsauffassung generell der Vorzug zu geben ist, solange die in Betracht kommenden innerhalb bestimmter Grenzen liegen (Hamm FamRZ 89, 654; vgl auch J/H/A/Lack § 1671 Rz 60; FA-FamR/Maier Kap 4 Rz 244). Deshalb beschränkt sich die Prüfung im Allg darauf, ob bei einem Elternteil objektive Umstände festzustellen sind, die seine Erziehungseignung mindern oder ganz aufheben (vgl auch FAKomm-FamR/Ziegler § 1671 Rz 42 ff). Solche sind insb psychische Erkrankungen (Brandbg FamRZ 2012, 235), deutlich verminderte Intelligenz, erhöhte Aggressions- und Gewaltbereitschaft; Alkohol- und Drogenabhängigkeit (Brandbg FamRZ 02, 1), körperliche Erkrankungen, sofern sie sich auf die Erziehungsfähigkeit auswirken (Stuttg NJW 88, 26: HIV nicht), kriminelle Verhaltensweisen, insb Gewalttaten, sexueller Missbrauch (s.u. Rn 34), wobei Vorstrafen allein noch nicht genügen (Rostock FamRZ 15, 338, 339); Kindesentführung (Hambg FamRZ 20, 925: nur bei konkretem Verdacht; Brandbg FamRZ 20, 1726 m abl Anm Hüßtege FamRZ 20, 1839: Kindeswohl entscheidend, hier: Übertragung Alleinsorge auf Entführerin), schlechte Kenntnisse der deutschen Sprache und Kultur bei Kindeswohnsitz in Deutschland, entwürdigender Erziehungsstils, Defizite bei der tatsächlichen Betreuung des Kindes (vgl Kobl R 97, 93; Brandbg FamRZ 03, 49), mangelnde Bereitschaft die elterliche Verantwortung wahrzunehmen. Ein solcher negativer Umstand wiegt umso schwerer, je stärker er ausgeprägt ist und je mehr er sich ggü dem Kind auswirkt. Die bloße Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas oder der Scientology-Organisation mindert allein die Erziehungseignung noch nicht (Oldbg NJW 97, 2962; Hamm FuR 97, 56; FamRZ 11, 1306; Hambg FamRZ 96, 684; Düsseld FamRZ 95, 1511; Stuttg FamRZ 95, 1290; AG Helmstedt FamRZ 07, 1837; Frankf FamRZ 97, 573; AG Tempelhof-Kreuzberg FamRZ 09, 987), sie tut es aber, wenn der betreffende Elternteil den repressiven Erziehungsstil, den diese Sekten lehren (vgl Oelkers/Kraft FuR 97, 161) kritiklos auf das Kind anwendet und es auch im Sinne dieser ›Heilslehren‹ zu beeinflussen sucht (Frankf FamRZ 94, 920). Das Vorleben streng islamischer Werte seitens der Mutter – wie etwa das Tragen einer Vollverschleierung oder ein stark eingeschränkter Kontakt zu Personen des anderen Geschlechts – stellt sich als nachteilig im Hinblick auf deren Erziehungseignung dar, doch kann die Übertragung geleichwohl gerechtfertigt sein, wenn sonstige Gesichtspunkte – wie etwa die Kontinuität der Lebensverhältnisse und die Bindungen sowie der Wille des Kindes – für die Mutter sprechen (Hamm FamRZ 17, 1225; vgl auch KG FamRZ 18, 1329). Erziehungsdefizite eines Elternteils stehen einer Übertragung der Sorge nicht entgegen, wenn dieser sie mithilfe Dritter kompensieren kann (Kobl FamRZ 19, 298).

 

Rn 33

Das Zusammenleben mit oder die bloße Beziehung zu einem neuen Lebenspartner begründet für sich genommen keinen Mangel der Erziehungsfähigkeit, auch wenn der neue Partner der Grund für das Scheitern der Ehe war. Doch muss der Elternteil den neuen Partner dem Kind behutsam nahebringen und darf ihn nicht an Stelle des leiblichen Vaters oder der leiblichen Mutter setzen. Ist er hierzu nicht gewillt oder nicht in der Lage, so kann dies einen erheblichen Erziehungsmangel darstellen. Auch ist es dem Wohl des Kindes nicht förderlich, wenn die neue Lebenspartnerschaft sich dahingehend auswirkt, dass das Kind, das gerade in der Trennungszeit besonders viel Liebe und Aufmerksamkeit braucht, vernachlässigt wird. Schließlich kann die Erziehungseignung des Elternt...

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