Rn 5

Durch diese besondere Schutznorm wird der Herausgabeanspruch gem § 1632 I dahin abgewandelt, dass die Herausnahme eines Kindes aus der Pflegefamilie zur Unzeit vermieden werden soll, um insb sein seelisches Wohl nicht zu gefährden (Hamm FamRZ 13, 389; BayObLG FamRZ 91, 1080). Die Vorschrift ermöglicht auch die Anordnung der Rückführung des Kindes, wenn die Beendigung des Aufenthalts des Kindes bei der Pflegeperson in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Verfahren über die Verbleibensanordnung steht (BGH FamRZ 17, 208 mAnm Salgo; Frankf FamRZ 20, 348). Die Verbleibensanordnung kann unter den Voraussetzungen des § 1696 III aufgehoben werden.

I. Formelle Voraussetzungen.

 

Rn 6

Das Kind muss sich in Familienpflege befinden. Damit sind nicht nur die Vollzeitpflege und sonstige Pflegeformen gem §§ 33 ff SGB VIII gemeint, sondern jedes tatsächliche Pflegeverhältnis familienähnlicher Art, das seit längerer Zeit besteht; auch eine Pflegeerlaubnis nach §§ 44 ff SGB VIII ist nicht Voraussetzung (BayObLG FamRZ 84, 817). In ›Familienpflege‹ iSd Vorschrift kann sich ein Kind auch bei Verwandten, insb bei Großeltern, befinden (BayObLG FamRZ 91, 1080).

 

Rn 7

Gem § 1632 IV 1 muss die Familienpflege seit längerer Zeit bestehen. Hierunter ist keine bestimmte Zeitspanne zu verstehen. Auszugehen ist vielmehr vom engeren kindlichen Zeitbegriff und den kindlichen Zeitvorstellungen, die wiederum in Beziehung zum Kindesalter stehen (vgl Köln FamRZ 07, 658; 09, 989). Je jünger das Kind ist, umso länger wird ihm eine Zeitspanne erscheinen, und umso länger ist auch die Zeit in Beziehung zur Dauer seines bisherigen Lebens, so dass es schon einen recht langen Zeitraum darstellt, wenn ein einjähriges Kind seit einem halben Jahr in einer Pflegefamilie gelebt hat (BayObLG FamRZ 91, 1080). Entscheidend ist, welche Bindungen sich in diesem Zeitraum zwischen Kind und Pflegeperson entwickelt haben, wobei auch das Verhältnis zu anderen Personen in der Pflegefamilie, wie etwa Pflegegeschwister, von Bedeutung sein kann (BayObLG FamRZ 91, 1080; vgl auch Celle FamRZ 90, 191; Karlsr FamRZ 06, 1501, 1502).

 

Rn 8

Die Vorschrift setzt voraus, dass die Eltern sorgeberechtigt, zumindest aber Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts, sind. Andernfalls stünde ihnen bereits kein Herausgabeanspruch gem I zu, der abgewehrt werden müsste. Über den Wortlaut hinaus gilt die Vorschrift im Grundsatz auch dann, wenn ein Vormund das Kind von der Pflegeperson wegnehmen will (BayObLG FamRZ 91, 1080; Brandbg FamRZ 22, 603).

II. Materielle Voraussetzungen.

 

Rn 9

In materieller Hinsicht setzt eine Verbleibensanordnung gem IV 1 voraus, dass durch das Herausgabeverlangen das Wohl des Kindes iSv § 1666 I gefährdet wird (BayObLG FamRZ 91, 1080; Frankf FamRZ 09, 1499, 1500; 11, 382; 15, 2172; KG FamRZ 11, 1667). Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und muss idR mit Hilfe eines kinderpsychologischen Gutachtens geklärt werden (BayObLG FamRZ 91, 1080; Köln FamRZ 09, 989; Frankf FamRZ 14, 1787). Entscheidend ist dabei insb, wie starke Bindungen des Kindes zur Pflegeperson bestehen. Es kann aus kinderpsychologischer Sicht als gesichert angesehen werden, dass die Trennung eines Kleinkinds von einer Bezugsperson eine erhebliche psychische Belastung für das Kind darstellt und mit einem schwer bestimmbaren Zukunftsrisiko verbunden ist (BayObLG FamRZ 91, 1080). Dabei ist nicht notwendigerweise allein auf die Pflegeperson abzustellen. Die Bezugswelt des Kindes wird auch durch die Beziehung zu Geschwistern oder Spielkameraden bestimmt (BayObLG FamRZ 91, 1080; Celle FamRZ 90, 191). Zum andern entspricht es aber auch dem Kindeswohl, eine Verfestigung des Pflegeverhältnisses zu vermeiden, wenn dies zu einer Entfremdung des Kindes zu seiner Herkunftsfamilie führt und eine Rückführung dadurch erheblich erschwert wird (Karlsr FamRZ 06, 1501, 1502). Denn die Inpflegenahme hat grds vorübergehenden Charakter, weshalb eine unumkehrbare Entwicklung zu einem endg Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie vermieden werden muss (EGMR FamRZ 02, 1393, 1397; vgl auch Köln FamRZ 08, 808; Hamm FamRZ 11, 826). Dennoch kann bei starken Bindungen des Kindes an die Pflegeeltern im Einzelfall auch eine unbefristete Verbleibensanordnung geboten sein (Brandbg FamRZ 09, 61, 62); sie unterliegt aber den Voraussetzungen des neu eingefügten S 2.

 

Rn 10

Befindet sich ein Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und ist als Folge hiervon eine gewachsene Bindung zu den Pflegeeltern entstanden, dann steht auch die Pflegefamilie unter dem vom GG garantierten Schutz der Familie (BayObLG NJW 88, 2381). Grds hat demgegenüber aber das Erziehungsrecht der Eltern den Vorrang (BayObLG NJW 88, 2381). Deshalb führt allein der Umstand, dass es dem Kind bei den Pflegeeltern gut geht, noch nicht zu einer Verbleibensanordnung (vgl BayObLG FamRZ 78, 135; KG FamRZ 11, 1667), selbst wenn es dem Willen des 15-jährigen Kindes entspräche (Zweibr FamRZ 11, 571; Köln FamRZ 17, 290); ebenso wenig ein bereits langer Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie (Stuttg FamRZ 14,...

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