Rn 10

§ 1574 II 1 Hs 2 nF nimmt die ehelichen Lebensverhältnisse aus der Prüfung der Angemessenheit der Erwerbstätigkeit aus, behält sie jedoch als Korrektiv iRe gesonderten Billigkeitsprüfung bei. Mit dieser Regelung soll im Einzelfall dem Vertrauen des Berechtigten im Hinblick auf eine ›nachhaltige gemeinsame Ehegestaltung‹ Rechnung getragen werden (BTDrs 16/1830, S 17). Der Begriff der ehelichen Lebensverhältnisse ist nicht abschließend gefasst. Bedeutsam sind grds die Verhältnisse bis zur Scheidung. Mehrere Elemente sind zu berücksichtigen, insb die Dauer der Ehe, die Dauer der Pflege und Erziehung eines oder mehrerer gemeinschaftlicher Kinder, die Dauer der (Nicht-)Ausübung einer beruflichen Tätigkeit sowie die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse.

§ 1574 II 1 Hs 2 beinhaltet eine Einwendung. Der Unterhaltsgläubiger muss darlegen und beweisen, dass ihm im konkreten Einzelfall eine an sich als angemessen anzusehende Tätigkeit nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht zumutbar ist. Mit zunehmender Dauer der Ehe (vgl Hamm FamRZ 93, 970) gewinnen die ehelichen Lebensverhältnisse, insb der in langjähriger Ehe erreichte soziale Status, an Gewicht. Bei gehobenen wirtschaftlichen Verhältnissen und einer entspr langen Dauer kann sich der Kreis der als angemessen in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten deutlich verengen. Anderseits kann trotz gehobener wirtschaftlicher Verhältnisse die (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in dem bereits vor oder während des Bestehens der Ehe erlernten und/oder ausgeübten Beruf angemessen sein. Neben der langen Ehedauer maßgeblich zu berücksichtigen sind die Zeiten der Betreuung und Erziehung gemeinschaftlicher Kinder (§ 1574 II 2). Demgegenüber stellt allein die in der ehelichen Lebensgemeinschaft erreichte gesellschaftliche Stellung einen erheblichen Einwand gegen eine an sich bestehende Erwerbsobliegenheit dar (BGH FamRZ 83, 144). Dem Tatrichter obliegt eine Gesamtabwägung aller Umstände (BGH FamRZ 20, 97; 20, 21). Die Aufnahme einer zweiten Teilzeitarbeit statt Aufgabe einer gesicherten Teilzeitarbeitsstelle kann den Anforderungen an eine angemessene Erwerbstätigkeit genügen (BGH FamRZ 12, 1483). Ob die ehelichen Lebensverhältnisse den Kreis der in Betracht kommenden Arbeitsstellen einengen können, ist erst iR einer Billigkeitsabwägung zu prüfen. Die Dauer einer früheren wegen der Kindererziehung unterbrochenen Erwerbstätigkeit ist dabei nur ein besonderer Gesichtspunkt, wobei eine nur kurze Unterbrechung für die Billigkeit spricht. Wie bei § 1578 I sind die ehelichen Lebensverhältnisse regelmäßig nur unter Einbeziehung der bis zur Scheidung eingetretenen Umstände zu berücksichtigen. Außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Ereignisse sind außer Ansatz zu lassen. Andererseits kann selbst bei gehobenen wirtschaftlichen ehelichen Lebensverhältnissen die Wiederaufnahme einer Arbeit in dem bereits bei Bestehen der Ehe ausgeübten oder erlernten Beruf angemessen sein (BGH FamRZ 95, 544; 91, 416 (Tätigkeit einer ausgebildeten Kindergärtnerin als selbstständige Verkaufsberaterin in einem gehobenen Einrichtungshaus), Kobl FamRZ 93, 199 (eigenständige gehobene Tätigkeit für eine ehemalige Bankangestellte). Allein die in der ehelichen Lebensgemeinschaft erreichte ›gesellschaftliche Stellung‹, die sich maßgeblich aus der beruflichen Stellung des unterhaltspflichtigen Ehegatten ableiten kann, stellt keinen erheblichen Einwand gegen eine an sich bestehende Erwerbsobliegenheit dar (vgl BGH FamRZ 83, 144). Einfache eheliche Lebensverhältnisse können die Übernahme von einfachen Hilfstätigkeiten als zumutbar erscheinen lassen, auch wenn der Berechtigte eine Berufsausbildung hat, in seinem Beruf aber keine Arbeit finden kann (Hamm FamRZ 88, 814). Wie bei § 1578 I sind die ehelichen Lebensverhältnisse regelmäßig unter Einbeziehung der Entwicklung bis zur Scheidung zu beurteilen. Außergewöhnliche, nicht vorhersehbare Veränderungen bleiben grds unberücksichtigt (BGH NJW 84, 1685 [BGH 08.02.1984 - IVb ZR 54/82]). Neben diesen subjektiven Kriterien müssen darüber hinaus objektive Kriterien erfüllt sein. Insb muss für eine nach subjektiven Kriterien zumutbare Erwerbstätigkeit eine realistische Beschäftigungschance bestehen (BGH FamRZ 87, 912). IdR sind weitere Kriterien wie etwa die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes (BGH NJW 86, 985) zu würdigen (BGH FamRZ 91, 416: Gebot der Gesamtwürdigung aller Umstände). § 1574 gilt entspr für die Beurteilung, welche Erwerbstätigkeit für den Verpflichteten angemessen ist.

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