Rn 32

Vor dem Rückgriff auf die ergänzende Vertragsauslegung durch den Richter hat immer der Versuch zu stehen, eine privatautonome Lösung durch Verhandlungen der Parteien herbeizuführen. Hierauf hat das Gericht auch noch in der Verhandlung hinzuwirken.

 

Rn 33

Die ergänzende Auslegung wird, jedenfalls soweit es sich um Individualverträge handelt, trotz ihres normativen Charakters grds dem Bereich der Tatsachenfeststellung zugeordnet (anders Staud/Roth Rz 51 ff). Sie obliegt daher dem Tatrichter und ist entsprechend nur eingeschränkt revisionsrechtlich auf die Beachtung von Auslegungs- oder Ergänzungsregeln, Denkgesetzen und Erfahrungssätzen hin überprüfbar (BGH NJW 04, 1873 [BGH 13.02.2004 - V ZR 225/03]. Für vollständige Revisibilität ua MüKo/Busche Rz 59; Ehricke RabelsZ 96, 673). Das Revisionsgericht ist bei Beachtung dieser Regeln schon an die Feststellung einer Lücke durch den Tatrichter gebunden (BGHZ 111, 110, 115 = NJW 90, 1724). Geht aber das Instanzgericht bei der Auslegung vertraglicher Bestimmungen auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei nicht ein, liegt ein Verstoß gegen Art 103 I GG nahe, so dass die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (BGH NJW-RR 10, 1219 [BGH 14.06.2010 - II ZR 135/09] Rz 7). Die ergänzende Vertragsauslegung kann auch entspr den allg Regeln vom Revisionsgericht nachgeholt werden, wenn der Tatrichter die Ergänzung fehlerhaft unterlassen hat und weitere Sachverhaltsermittlung, zu der auch die Feststellung von Verkehrssitten (Rn 13) gehört, nicht erforderlich ist (BAG NZA 12, 791 [BAG 18.04.2012 - 10 AZR 47/11]; BGH NJW 07, 1884 [BGH 19.01.2007 - V ZR 163/06]; NJW-RR 00, 894 [BGH 18.02.2000 - V ZR 334/98]).

 

Rn 34

Bei der ergänzenden Vertragsauslegung im Falle von unwirksamen AGB steht dagegen der rechtsfortbildende Charakter der richterlichen Tätigkeit im Vordergrund. Der Sache nach geht es um die Weiterentwicklung des dispositiven Rechts. Daher ist hier eine uneingeschränkte revisionsrechtliche Überprüfbarkeit anzunehmen, sofern es sich um eine Vertragsbedingung handelt, die über die Zuständigkeit nur eines Berufungsgerichts hinaus verbreitet ist (BGHZ 163, 321 = NJW 05, 2919; BGH NJW-RR 08, 1371, 1372; NJW 10, 1742; Staud/Roth Rz 55; NK-BGB/Looschelders Rz 77).

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