1. Grundsatz.

 

Rn 37

Das Rechtsstaatsprinzip ist eine der zentralen verfassungsrechtlichen Grundlagen für das gesamte Verfahrensrecht. Es ist in Art 20 III, 28 I GG niedergelegt und dient dem BVerfG, häufig verknüpft mit anderen verfassungsrechtlichen Grundlagen wie insb Art 2 I, 3 I, 19 IV, 92, 97 GG sowie Art 6 EMRK, zur Entwicklung einer größeren Zahl einzelner verfahrensrechtlicher Grundsätze mit Verfassungsrang, bei deren Verletzung die Verfassungsbeschwerde gegeben ist.

2. Gesetzesbindung.

 

Rn 38

Aus dem unmittelbaren Wortlaut von Art 20 III GG und damit aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich die Gesetzesbindung der Gerichte, deren Bedeutung und Gewicht oftmals unterschätzt wird. Die Gesetzesbindung wird durch die Verpflichtung der Gerichte zur Auslegung und zur Fortbildung des Rechts nicht aufgehoben. Vielmehr zeigt der Zusammenhang, dass eine richterliche Rechtsfortbildung stets einer besonderen Legitimation bedarf (planwidrige Gesetzeslücke, Rechtsfortbildungsbedürfnis, kein Überschreiten der Rechtsfortbildungsgrenzen).

3. Justizförmigkeit.

 

Rn 39

Wiederholt hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ein Anspruch auf Rechtssicherheit und Berechenbarkeit des Verfahrens, also auf Justizförmigkeit ergebe (BVerfGE 2, 403; 49, 164; BVerfG NJW 98, 3703; BVerfG NZA 01, 118).

4. Effektiver Rechtsschutz.

 

Rn 40

Weiterhin wird aus dem Rechtsstaatsprinzip (iVm Art 2 I GG) das Gebot des effektiven Rechtsschutzes entwickelt, das eine möglichst wirksame Kontrolle durch die Gerichtsbarkeit verlangt (BVerfGE 35, 361; 40, 275; 42, 132; 61, 109; 67, 58; 77, 284; 79, 84; 85, 345; 88, 123; 93, 107; 97, 185; zuletzt NJW 13, 3630; 14, 3771; ZIP 14, 2141; NJW 15, 3779; NJW 18, 3699). Aus diesem Gebot folgt auch, dass der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden darf (BVerfGE 107, 395; BVerfG NJW-RR 01, 1076; NJW 01, 2161, 2531; NJW 09, 572). Ausfluss des Gebots des effektiven Rechtsschutzes ist auch die Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit und das Verbot überlanger Verfahrensdauer (s.u. Rn 43) sowie die willkürliche Anwendung von § 522 II (BVerfG NJW 12, 2869; NJW 13, 3630). Auch die Versagung des Revisionszugangs kann gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verstoßen (BVerfG NJW 18, 3699; BVerfG v 2.11.20 – 1 BvR 533/20).

5. Faires Verfahren.

 

Rn 41

Im Zusammenwirken von materiellen Grundrechten (insb Art 2 I GG) und dem Rechtsstaatsprinzip hat das BVerfG das verfassungsrechtlich verankerte Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren entwickelt. Ausgangspunkt waren die berühmten Zuschlagsbeschlüsse im Vollstreckungsrecht gewesen (BVerfGE 42, 64; 46, 325; 49, 220; 51, 150). Der Grundsatz soll sicherstellen, dass das Beweisrecht fair gehandhabt wird (BVerfGE 52, 131; BVerfG ZIP 98, 881). Nicht zulässig ist danach auch ein widersprüchliches Verhalten des Gerichts (BVerfGE 69, 387; BVerfG NJW 94, 1853; NJW 96, 3202; NJW 97, 1909; NJW 04, 2149). Das Gericht muss das Verfahrensrecht so anwenden, dass die materiellen Rechtsfragen entschieden werden und nicht übertriebene Anforderungen an das formelle Recht gestellt werden. Dabei ist das Verfahrensrecht so auszulegen, dass es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht in Widerspruch gerät und den Rechtsuchenden nicht unverhältnismäßig belastet (BVerfG NJW 05, 814). Das Recht auf ein faires Verfahren gewährt auch Art 6 EMRK (EGMR NJW 10, 3207; 12, 3019). Zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Beweisverfahrens vgl Zuck NJW 10, 3350, 3622, 3764.

6. Prozessuale Waffengleichheit.

 

Rn 42

Auch der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist im Zusammenhang von Rechtsstaatsprinzip und Art 3 I GG entwickelt worden. Dieser Grundsatz fordert eine gleichmäßige Belastung der Parteien mit dem Prozessrisiko und den Prozesskosten (BVerfGE 51, 131, 144; 74, 92, 94). Er verpflichtet den Richter, die Gleichstellung der Parteien durch eine objektive und faire Verhandlungsführung, durch unvoreingenommene Bereitschaft zur Verwertung des gegenseitigen Vorbringens, durch unparteiische Rechtsanwendung und durch Erfüllung aller prozessualen Obliegenheiten zu wahren (BVerfG NJW 18, 3631; NJW 18, 3634; NJW 79, 1925; MDR 19, 176; dazu Vollkommer MDR 19, 965). Die prozessuale Waffengleichheit ist auch durch Art 6 I EMRK abgesichert und kann durch eine einseitige Auslegung des Rechts des Zeugenbeweises verletzt sein (Problem des Vier-Augen-Gesprächs, EGMR NJW 95, 1413). Eine wichtige Ausprägung dieses Grundsatzes ist die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts, wenn eine Seite anwaltlich nicht vertreten ist. IRd einstweiligen Verfügung hat das BVerfG zum Recht auf prozessuale Waffengleichheit sehr konkrete Ausgestaltungen vorgenommen (BVerfG NJW 17, 2985; 18, 3631 und 3634; 20, 2021; 21, 615 und 618; 21, 2020; 22, 1083; dazu Mantz NJW 20, 2007). So verlangt es Deckungsgleichheit zwischen vorgerichtlicher Abmahnung und Antragsschrift. Anderenfalls darf erst nach mündlicher Verhandlung über den Verfügungsantrag entschieden werden. Eine umfassende Aufarbeitung der Rspr des BVerfG und der Anwendungsfelder hat im Jahre 2021 Friedrich vorgeleg...

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