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Der deutsche Zivilprozess hat seine Wurzeln va im römisch-kanonischen und im germanischen Recht. Später hat sich etwa im langobardischen Reich auch ein germanisch-romanischer Mischprozess entwickelt. Besonders bedeutsam war die Weiterentwicklung des kanonischen Prozesses, wobei die kirchliche Gerichtsbarkeit mehr und mehr auch auf weltliche Angelegenheiten ausgedehnt wurde. So entstand in Italien ein italienisch-kanonischer Prozess, der durch die Rezeption im 14. und 15. Jh nach Deutschland gebracht wurde. Hier entwickelte sich insb seit der Errichtung des Reichskammergerichts im Jahre 1495 der sog gemeine Prozess, der bis in das 19. Jh hinein Anwendung fand. Geprägt war dieser gemeine Prozess durch Schriftlichkeit, Nichtöffentlichkeit und die Bindung der richterlichen Beweiswürdigung an feste Beweisregeln. Die Reformversuche der 2. Hälfte des 18. Jh und im 19. Jh lösten sich dann Schritt für Schritt von diesem gemeinen Prozess. War die Preußische Allgemeine Gerichtsordnung von 1793 noch deutlich an den gemeinen Prozess angelehnt, so brachte der neue Code de Procédure Civile in Frankreich im Jahre 1806 einen eindeutigen Umschwung. Das Verfahren war nunmehr mündlich und öffentlich und es wurde durch die Parteien bestimmt. Die Bindung an feste Beweisregeln wurde aufgehoben und die freie Beweiswürdigung eingeführt. Dieser Prozess wurde zum Vorbild für die Prozessordnungen von Hannover (1850), von Baden (1864) und von Bayern (1869); grdl Ahrens, Prozessreform und einheitlicher Zivilprozess 2007.

Bedingt durch die in Deutschland bestehende Rechtszersplitterung gab es bereits vor der Gründung des Norddeutschen Bundes (1866) und des Deutschen Reiches (1870) Bemühungen zur Entwicklung eines einheitlichen Zivilprozessrechts. Unter dem Vorsitz des Justizministers Adolf Leonhardt waren nach der Reichsgründung 1870/71 dann die Bemühungen erfolgreich, eine neue CPO als Teil der Reichsjustizgesetze zu schaffen. Diese CPO wurde am 30.1.1877 veröffentlicht und trat am 1.10.1879 zusammen mit den übrigen Reichsjustizgesetzen (GVG, StPO, KO) in Kraft. Diese liberale und überzeugende Kodifikation hatte grds Bedeutung für die Rechtseinheit in Deutschland und darüber hinaus große Ausstrahlungskraft auf viele andere Staaten der Erde (vgl Habscheid Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, 1991; Rechberger Die Entwicklung des Zivilprozessrechts in Mittel- und Südosteuropa, 2011; Sutter-Somm/Harsagi Die Entwicklung des Zivilprozessrechts in Mitteleuropa um die Jahrtausendwende, 2012). So ist zB die japanische ZPO von 1890 eine nahezu wörtliche Rezeption der deutschen ZPO gewesen.

Unter den Veränderungen der ZPO in den vergangenen 140 Jahren ist zunächst die Novelle vom 17.5.1898 zu erwähnen, die den Zivilprozess an das damals verabschiedete neue BGB und das neue HGB anpasste. Erwähnung verdienen sodann die Amtsgerichtsnovelle vom 1.6.1909 und die sog Emminger'sche Justizreform vom 13.2.24. Die große ZPO-Novelle vom 27.10.33 ist noch nicht dem nationalsozialistischen Gedankengut zuzurechnen, sondern beruht auf einem Reformentwurf aus dem Jahre 1931. Nach den negativen Einflüssen des Nationalsozialismus, den Kriegsereignissen und dem Stillstand der Rechtspflege im Jahre 1945 konnte erst durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12.9.50 eine einheitliche Zivilgerichtsbarkeit wiederhergestellt werden. Nach vielen kleinen Veränderungen brachte sodann das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 3.12.76 (sog Vereinfachungsnovelle) die bis dahin wohl tiefgreifendsten Veränderungen der ZPO seit 1950. Die letzte grdle Novellierung brachte schließlich das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.01, in dem va das gesamte Rechtsmittelrecht neu geordnet wurde. Nunmehr ist am 1.9.09 das FamFG in Kraft getreten, das das gesamte frühere 6. und 9. Buch der ZPO, also die Verfahren in Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen sowie das Aufgebotsverfahren in der ZPO vollkommen gestrichen hat. Wenig hilfreich erscheint die seit ca 2002 geführte Diskussion um eine große Justizreform, die die verschiedenen Gerichtsbarkeiten zusammenlegen möchte (vgl Jung DRiZ 09, 352). Um diese Diskussion ist es in den vergangenen Jahren zu Recht wiederum sehr still geworden. Dagegen hat der Bereich der Zwangsvollstreckung durch das Gesetz zur Reform der Sachaufklärung v 29.7.09 (BGBl I 2258), in Kraft seit 1.1.13, zusammen mit weiteren einzelnen Novellierungen erhebliche Änderungen erfahren. In der 18. Legislaturperiode des Bundestags (2013–2017) sind weitere Bemühungen um eine Modernisierung des Zivilprozesses erfolgt, so im Bereich des Sachverständigenrechts und der Zwangsvollstreckung (vgl Prütting AnwBl 13, 401; ders FS Klamaris 16). Besondere Bedeutung, aber auch erhebliche Schwierigkeiten wird wohl der elektronische Zivilprozess auslösen (s.u. § 128a Rn 2). Starke Beachtung findet in der Praxis die Tatsache, dass schon seit 1995, verstärkt aber seit 2004 ein deutlicher Rüc...

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