Rn 6

Abgesehen von einer solchen Fortwirkung von Prozesshandlungen kann der Bekl sich im Nachverfahren nunmehr uneingeschränkt verteidigen und ist auch der Kl keinen Beschränkungen in seiner Beweisführung mehr unterworfen. Anderes gilt nur, soweit die Beurteilung in dem Vorbehaltsurteil bindende Wirkung auch für das Nachverfahren hat. Über diese herrscht allerdings in Rspr und Lehre seit langem Streit.

I. Ständige Rechtsprechung.

 

Rn 7

Nach einer in der stRspr verwendeten, noch auf die Motive zurückgehenden Formel ist das Vorbehaltsurteil insoweit für das Nachverfahren bindend, als es nicht auf den eigentümlichen Beschränkungen der Beweismittel im Urkundenverfahren beruht (etwa BGHZ 82, 115, 117 f; 158, 69, 72). Hergeleitet wird diese Bindung aus § 318 (BGHZ 82, 115, 120; BAG NJW 72, 1216). Allerdings ist jene Formel nie konsequent angewendet worden; vielmehr wurde dem Bekl stets gestattet, erstmals im Nachverfahren Vortrag zu halten und Beweis anzubieten, der auch im Urkundenprozess beachtlich gewesen wäre (vgl BGHZ 82, 115, 118f). Angenommen wird die Bindung va für die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (BGH NJW 93, 668; einschränkend Jena OLGR 09, 750) und für die Schlüssigkeit der Klage (BGHZ 158, 69, 72), und zwar unabhängig davon, ob im Urkundenprozess insoweit überhaupt eine nähere Prüfung stattgefunden hat. Auch die rechtliche Beurteilung etwa von Einwendungen des Bekl (BGH WM 79, 272; 94, 961, 962 [BGH 09.02.1994 - XII ZR 206/92]) und abschließende tatsächliche Feststellungen, zB zur Formgültigkeit des Wechsels (BGH WM 69, 1279, 1280) oder zur Vertragsstornierung (BGHZ 159, 334, 337), sollen endgültig sein. Insoweit ist freilich die Grenze fließend zu dem in der neueren Rspr vermehrt betonten Grundsatz, dass bei neuem Sachvortrag im Nachverfahren auch eine abweichende Beurteilung möglich ist (BGH NJW 88, 1468; NJW-RR 02, 387, 388; BGHZ 158, 69, 73).

II. Kritik.

 

Rn 8

In der Lehre findet die Rspr Zustimmung (ua Bilda NJW 83, 144; Musielak/Voit/Voit § 600 Rz 9f), aber auch verbreitet Kritik, die eine fehlende Rechtsgrundlage für die Bindungswirkung geltend macht und diese ganz oder doch weitgehend ablehnt (ua Stürner ZZP 85, 424; MüKoZPO/Braun/Heiß § 600 Rz 19 ff; St/J/Berger § 600 Rz 26 f; Zö/Greger § 600 Rz 20). Daran ist richtig, dass die Bindungswirkung gem § 318 gerade nach der Rspr nicht die Entscheidungsgründe, sondern nur den Urteilausspruch erfasst (BGH NJW 94, 1222f). Die Systematik des Urkundenprozesses mit seiner nicht qualitativen, sondern nur sachlichen Beschränkung der Prüfungstätigkeit des Gerichts sowie die hinter § 318 stehenden Wertungen der Rechtssicherheit und der Prozessökonomie sprechen jedoch dagegen, das Vorbehaltsurteil im Nachverfahren quasi als ›Nullum‹ anzusehen. Aus dem Grundgedanken des § 318 einerseits, dass die dem Urt zugrunde liegende tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Streitstoffs im weiteren Verlauf des Verfahrens (es sei denn im Rechtsmittelweg) nicht mehr in Frage gestellt werden soll, und der Regelung der §§ 598, 599 I andererseits folgt: Das Vorbehaltsurteil entfaltet zwar eine umfassende, sich auf sämtliche Entscheidungselemente erstreckende Bindungswirkung für das Nachverfahren; diese reicht aber nur so weit, wie nicht neuer, im Urkundenprozess noch nicht geprüfter Tatsachenstoff oder neue Beweismittel vorgebracht werden (so auch Wieczorek/Schütze/Olzen § 600 Rz 36 ff). Für die Beurteilung der Sachurteilsvoraussetzungen gilt dabei nichts anderes (dezidiert aA MüKoZPO/Braun/Heiß § 600 Rz 21; Schilken FS Prütting, 527, 539). Dieselbe Bindungswirkung kommt auch dem Anerkenntnisvorbehaltsurteil zu (vgl Jena OLGR 09, 750).

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