Rn 12

Auch wenn die unter B. genannten Voraussetzungen vorliegen, ist das Gericht zur Parteivernehmung vAw nicht verpflichtet (›Kann-Vorschrift‹, Zö/Greger Rz 4b). Wer auf das Erfordernis der Anfangswahrscheinlichkeit verzichtet (Rn 9), muss konsequenterweise in diesen Fällen auch ein Ermessen des Gerichts verneinen (St/J/Berger Rz 32; Gehrlein ZZP 97, 451, 474; Kwaschik S 272).

I. Ermessen.

 

Rn 13

Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen (BGH NJW 99, 363, 364 [BGH 16.07.1998 - I ZR 32/96]; NJW 13, 2601 [BGH 14.05.2013 - VI ZR 325/11]; gegen eine Einordnung als Ermessensvorschrift Wieczorek/Schütze/Völzmann-Stickelbrock Rz 19). Es muss vAw und in jeder Lage des Verfahrens prüfen, ob die Voraussetzungen einer Amtsvernehmung vorliegen, und zwar sowohl bevor eine Partei als beweisfällig behandelt als auch umgekehrt, bevor eine beweisfällige Partei durch die vAw angeordnete Vernehmung aus der ihr nachteiligen Beweislage befreit wird (Musielak/Voit/Huber Rz 4). Hält das Gericht eine Parteivernehmung für geboten, darf diese nicht durch die (urkundenbeweisliche) Verwertung einer früheren Aussage in einem anderen Verfahren ersetzt werden.

II. Auswahl der Partei.

 

Rn 14

Auch über die Frage, welche Partei zu vernehmen ist, entscheidet das Gericht – ohne Rücksicht auf die Verteilung der Beweislast (BGH VersR 59, 199, 200) – nach seinem pflichtgemäßen Ermessen.

1. Maßgebliche Umstände.

 

Rn 15

Bei der Auswahl spielen Gesichtspunkte der Beweiskraft eine maßgebliche Rolle, wie das vermutlich bessere Wissen der Partei va aufgrund eigener Wahrnehmung von den zu beweisenden Tatsachen (BGH NJW 99, 363, 364 [BGH 16.07.1998 - I ZR 32/96]), die persönliche Vertrauenswürdigkeit und uU das Verhalten im Prozess.

2. Vernehmung beider Parteien.

 

Rn 16

Wegen des Normzwecks und des Prinzips der Waffengleichheit sind bei Anwendung von § 448 grds beide Parteien zu vernehmen (R/S/G § 124 Rz 22; Musielak/Voit/Huber Rz 8; enger Anders/Gehle/Gehle ZPO Rz 11). In Betracht kommt die Vernehmung beider Parteien va dann, wenn derselbe Vorgang (zB eine zwischen den Parteien geführte Vertragsverhandlung) von beiden Seiten unterschiedlich dargestellt wird. Etwas anderes gilt, wenn das Gericht eine Partei aufgrund ihres Prozessverhaltens für nicht vertrauenswürdig ansieht oder deren Behauptungen bisher völlig beweislos oder unwahrscheinlich sind. Die alleinige Vernehmung der beweisbelasteten Partei sollte möglichst vermieden werden. Weigert sich eine Partei, so gilt § 446 entspr, beim Ausbleiben § 454.

III. Anordnung durch Beschluss.

 

Rn 17

Die Anordnung der Parteivernehmung ergeht durch (wegen § 355 II) unanfechtbaren Beweisbeschluss, § 450 I. Es muss erkennbar sein, auf welcher Grundlage das Ermessen ausgeübt wurde. Wegen des Ausnahmecharakters der Parteivernehmung ist eine präzise Eingrenzung des Beweisthemas erforderlich. Im Urt ist darzulegen, aus welchen Umständen das Gericht die ›gewisse Wahrscheinlichkeit‹ für die Richtigkeit der streitigen Parteibehauptungen hergeleitet hat. Fehlt es daran oder tragen die angeführten Gründe die Beweisanordnung nicht, so liegt ein Rechtsfehler vor, der zur Aufhebung des Urteils führt (BGH NJW 89, 3222f). Unterbleibt eine Parteivernehmung, so sind die Gründe jedenfalls dann darzulegen, wenn einer entsprechenden Anregung nicht nachgegangen wurde oder sich eine Parteivernehmung aus anderen Gründen aufdrängte (BGH FamRZ 87, 152; MüKoZPO/Schreiber Rz 7). Schweigen die Entscheidungsgründe zu § 448 und finden sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass der Tatrichter das ihm eingeräumte Ermessen ausgeübt hat, so kann die Entscheidung wegen des Verfahrensfehlers keinen Bestand haben (BGH NJW-RR 94, 636), sofern sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweist.

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