Rn 11

Hat eine der Parteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, kann für die andere Partei ein ggü dem ›Normalfall‹ gesteigertes Prorogationsbedürfnis bestehen, um die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für künftige Rechtsstreite sicherzustellen und nicht bei Erforderlichkeit des Beschreitens des Rechtswegs ihr Recht vor ausländischen Gerichten suchen zu müssen. Aber auch wenn beide Parteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben, kann es ein solches Bedürfnis geben, etwa wenn ein avisiertes Vertragsverhältnis ausschließlich im Inland begründet und abgewickelt werden soll. Umgekehrt kann aber auch das berechtigte Anliegen bestehen, in einer solchen Konstellation eine ausschließliche ausländische Zuständigkeit zu begründen, weil das in Rede stehende Rechtsverhältnis überwiegende Bezüge zu diesem Staat und seinen Rechtsregeln aufweist. Diesem praktischen Bedürfnis trägt die durch § 38 II eröffnete Prorogationsmöglichkeit für nach § 38 I nicht prorogationsbefugte Parteien Rechnung. Da es sich aber um eine eng auszulegende Ausnahmeregelung zum allgemeinen, tendenziell verbraucherschützenden Prorogationsverbot handelt, ist das Tatbestandsmerkmal des fehlenden allgemeinen Inlandsgerichtsstands einer Partei wörtlich zu nehmen und nicht erfüllt, wenn die in Rede stehende Partei neben einem allgemeinen Inlandsgerichtsstand auch einen solchen Gerichtsstand im Ausland hat (BGH NJW 86, 1438, 1439 [BGH 20.01.1986 - II ZR 56/85]; NJW-RR 05, 929, 931). Demgegenüber ist es, was vor dem Hintergrund des vorstehend dargelegten Normzwecks durchaus Sinn macht, nach dem eindeutigen Wortlaut des § 38 II für das Eingreifen der Vorschrift unerheblich, ob trotz fehlenden allgemeinen Inlandsgerichtsstands ein besonderer Gerichtsstand (wie zB § 29) im Inland besteht (vgl statt Vieler: Musielak/Voit/Heinrich § 38 Rz 16). Umstritten und vom BGH bislang nicht beantwortet (BGH NJW-RR 05, 929, 931 [BGH 14.04.2005 - IX ZB 175/03]) ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 38 II vorliegen müssen. Die Auffassung, wonach es auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ankommt (Zö/Schultzky § 38 Rz 31; Anders/Gehle/Becker ZPO § 38 Rz 22, aber auch alt bei Zuständigkeitsvereinbarung; dagegen Musielak/Voit/Heinrich § 38 Rz 16), vermag nicht zu überzeugen, da sie den Parteien im Widerspruch zum Wortlaut des § 38 II 1 die Möglichkeit einer rechtssicheren Vertragsgestaltung entzieht (St/J/Bork § 38 Rz 26; Wieczorek/Smid/Hartmann § 38 Rz 99; s.a. BeckOK ZPO/Toussaint § 38 Rz 31).

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