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Die Vorschrift stellt den Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit an die Spitze der allgemeinen Bestimmungen für die Beweisaufnahme und unterstreicht dadurch dessen Bedeutung iRd freien Beweiswürdigung. Jede Zwischenschaltung von Mittelspersonen macht das entscheidende Gericht von deren Wahrnehmungsmöglichkeiten und Perspektive abhängig und verändert dadurch die Entscheidungsgrundlage und Betrachtungsweise. Gleichzeitig dient das Prinzip der Prozessbeschleunigung. Der Grundsatz wird allerdings nur formal verstanden und hat keinen Verfassungsrang (BVerfGE 1, 418, 429 [BVerfG 18.09.1952 - 1 BvR 612/52]; NJW 08, 2243, 2244 [BVerfG 30.01.2008 - 2 BvR 2300/07]). Das erkennende Gericht muss die Beweise selbst ohne Zwischenschaltung Dritter erheben und würdigen. Eine materielle Beweisunmittelbarkeit im Sinn einer Verpflichtung, aus mehreren Beweisen diejenigen auszuwählen, die möglichst unmittelbar über die zu beweisenden Tatsachen Aufschluss geben, ist der Norm nicht zu entnehmen, erst Recht kein Ausschluss mittelbarer Beweise – etwa des Zeugen vom Hörensagen oder der Verwertung anderweit aufgenommener Vernehmungsprotokolle oder Gutachten im Wege des Urkundenbeweises (hM; etwa BVerfG NJW 94, 2347; BGHZ 168, 79, 84; München NJW 86, 263; aA BAG AuR 69, 61, 62; Bachmann ZZP 118, 133, 140 ff; Rohwer S 47 ff). Die Erhebung beantragter sachnäherer Beweise kann jedoch nicht mit dem Hinweis auf die bereits erhobenen mittelbaren Beweise verweigert werden (BGHZ 7, 116, 121 f; NJW 97, 3096, 3097). Zulässig ist es danach, eine Zeugenvernehmung anhand früher aufgenommener Vernehmungsprotokolle durchzuführen (BGH Beschl v 20.5.10 – III ZR 137/09, Rz 7 – juris). Eine zeitnahe Würdigung der erhobenen Beweise (sog zeitliche Unmittelbarkeit) wird hingegen nur iRv §§ 285 I, 370 gewährleistet.

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