I. Anwendungsbereich.

 

Rn 67

Die Sonderregelung des § 322 II bezieht sich nur auf die Aufrechnung nach §§ 387 ff BGB, nicht aber auf sonstige Abrechnungsverhältnisse. Bei einer Verrechnung unselbstständiger Rechnungsposten (BGH NJW 92, 317, 318; NJW 02, 900), einer Saldierung (BGH NJW-RR 04, 1715, 1716 [BGH 20.01.2004 - XI ZR 69/02]) oder der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts (BGH NJW-RR 96, 828 [BGH 16.04.1996 - XI ZR 302/95]) wird daher über die Gegenforderung nicht rechtskräftig entschieden. Die Aufrechnung kann sowohl innerhalb des Prozesses erstmals erklärt werden als auch als außerhalb des Prozesses erfolgte Aufrechnung im Wege einer Einwendung in den Prozess eingeführt werden. Die Aufrechnung kann sowohl als Primär- als auch als Eventualaufrechnung erfolgen, was der Regelfall ist, wenn der Bekl der Klageforderung entgegentritt. Da die Aufrechnungsforderung in beiden Fällen selbst nicht rechtshängig wird, ist auch die mehrfache Aufrechnung mit derselben Forderung in unterschiedlichen Prozessen, eine selbstständige Klage oder die Geltendmachung der Forderung im Wege der Widerklage möglich (BGHZ 57, 242, 243 = NJW 72, 450; NJW 99, 1179).

II. Die Aufrechnung des Beklagten.

1. Wortlaut des § 322 II.

 

Rn 68

Dem Wortlaut nach bezieht sich § 322 II nur auf den Fall, dass die Aufrechnung des Bekl erfolglos bleibt, weil das Gericht das Bestehen der Gegenforderung oder aber ihre Durchsetzbarkeit oder Gegenseitigkeit verneint. Diese Einschränkung überzeugt nicht, denn angesichts des Normzwecks, den Aufrechnungsgegner zu schützen und eine erneute Geltendmachung der Forderung zu vermeiden, muss § 322 II auch dann angewendet werden, wenn die Aufrechnung erfolgreich ist, weil das Gericht das Bestehen der Gegenforderung bejaht (allgA BGHZ 36, 316, 319 = NJW 62, 907; Musielak JuS 94, 817, 825; MüKoZPO/Gottwald § 322 Rz 198). Im beiden Fällen ergibt sich die Rechtskraft der Entscheidung über die Gegenforderung regelmäßig nur aus den Entscheidungsgründen, im klageabweisenden oder -stattgebenden Tenor wird sie meist nicht erwähnt (St/J/Althammer § 322 Rz 174).

2. Entscheidung des Gerichts.

a) Klageabweisung.

aa) Nichtbestehen der Klageforderung.

 

Rn 69

Das Gericht hat sich mit der Gegenforderung nur dann zu befassen, wenn diese entscheidungserheblich ist. Ist die Klage abzuweisen, weil die Klage unzulässig ist oder die Klageforderung nicht besteht, ergeht keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die nur hilfsweise geltend gemachte Gegenforderung. Eine gleichwohl gemachte Aussage zur Gegenforderung ist als reines obiter dictum unbeachtlich. Der Kl ist nur in Höhe der Klageforderung beschwert. Auch wenn der Bekl die Klageforderung unstr stellt und sich allein mit der Aufrechnung verteidigt, hat das Gericht – sofern kein ausdrückliches Anerkenntnis vorliegt – jedenfalls die Schlüssigkeit der Klageforderung zu prüfen, denn es darf nicht rechtskräftig über die Gegenforderung entscheiden, wenn die Hauptforderung schon aufgrund des Klägervortrags nicht besteht (Wieczorek/Schütze/Büscher § 322 Rz 260). Das Gericht darf nach der heute allg anerkannten Beweiserhebungstheorie die Entscheidung über die Klageforderung nicht mit der Begründung offenlassen, dass diese jedenfalls infolge Aufrechnung erloschen sei (Zö/G.Vollkommer § 322 Rz 20; Musielak/Voit/Musielak § 322 Rz 84 gegen die frühere Klageabweisungstheorie). Teilweise wird bei einem Verstoß gegen den Beweiserhebungsgrundsatz das Urt in umfassender Hinsicht der materiellen Rechtskraft nicht fähig ist, dh, weder über den Bestand der Klage bis zur Höhe der zur Aufrechnung gestellten Forderung rechtskräftig entschieden noch die Gegenforderung aberkannt ist (Zö/G.Vollkommer § 322 Rz 21). Nach aA ist durch ein derartiges Urt zwar die eingeklagte Hauptforderung rechtskräftig aberkannt, nicht aber eine der Rechtkraft fähige Entscheidung über das Erlöschen der Gegenforderung getroffen (Musielak/Voit/Musielak § 322 Rz 84, St/J/Althammer § 322 Rz 156). Da die Rechtskraft des § 322 I auch fehlerhaft ergangene Urteile erfasst, ist letzterer Auffassung zuzustimmen, lediglich die Wirkung der Ausnahmeregelung des § 322 II tritt in solchen Fällen nicht ein.

bb) Begründetheit der Aufrechnung.

 

Rn 70

Besteht die Klageforderung und weist das Gericht die Klage aufgrund der zulässigen und begründeten Aufrechnung ab, so ist entsprechend § 322 II rechtskräftig festgestellt, dass die Klageforderung und die Gegenforderung in der Höhe der Klageforderung bestanden haben und dass beide Forderungen infolge der Aufrechnung erloschen sind. Beide Parteien sind jeweils in Höhe der Klageforderung beschwert (BGH NJW 02, 900). Legt nur der Kl Rechtsmittel ein, ist das Gericht gehindert, das Bestehen der Klageforderung anders zu bewerten als die Vorinstanz (BGHZ 109, 179, 188 = NJW 90, 447). Legt umgekehrt nur der Bekl Rechtsmittel ein, darf das Gericht nur das Bestehen der Klageforderung überprüfen, nicht aber die zuvor bejahte Gegenforderung verneinen (BGHZ 36, 316, 319 = NJW 62, 907). Ist die Gegenforderung höher als die Klageforderung, so wird der verbleibende Teil dem Bekl nicht rechtskräftig aberkannt, auch dann nicht, wenn die Gegenforderung in den Entscheidungsgründen insgesamt verneint wird (MüKo...

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