Rn 1

Der nach § 286 I erforderliche Vollbeweis (§ 286 Rn 4) kann im Haftungsrecht beim Nachweis des Entstehens und der Höhe eines Schadens zu erheblichen Beweisschwierigkeiten für den Geschädigten führen. Sie können darauf beruhen, dass die Bemessung des Schadens im Ermessen des Gerichts liegt (etwa bei § 253 II BGB), für die Höhe des Schadens eine hypothetische Betrachtungsweise notwendig ist (zB beim entgangenen Gewinn gem § 252 S 2 BGB), die Berechnung des Schadens aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereitet oder die Beweisführung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde. Durch § 287 soll verhindert werden, dass materiell berechtigte Schadensersatzansprüche an den hohen Beweisanforderungen des § 286 I scheitern (BVerfG NJW 10, 1870, 1871). Der Gesetzgeber billigt dem Geschädigten deshalb in mehrfacher Hinsicht Beweiserleichterungen zu, und zwar durch eine Reduzierung des Beweismaßes, geringere Anforderungen an die Behauptungslast sowie eine freiere Gestaltung der Beweisaufnahme (§ 287 S 2, 3). § 287 II erweitert diese Erleichterungen (mit Ausnahme der Möglichkeit, den Beweisführer als Partei zu vernehmen, § 287 S 3), auf andere Fälle, in denen die Höhe einer Forderung streitig ist, sofern die vollständige Aufklärung mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden wäre. Im Hinblick auf den erwähnten Normzweck kann deshalb § 287 keine Anwendung finden, wenn die exakte Berechnung eines Schadens ohne weiteres möglich ist (BVerfG NJW 10, 1870, 1871 [BVerfG 08.12.2009 - 1 BvR 3041/06] für die Berechnung einer Zinsforderung).

 

Rn 2

§ 287 betrifft lediglich die subjektive Beweislast (Beweisführungslast) des Geschädigten, indem ihm die Beweisführung erleichtert wird. Die Verteilung der objektiven Beweislast zwischen den Parteien bleibt dagegen unberührt (BGH NJW 70, 1970, 1971 [BGH 07.07.1970 - VI ZR 233/69]; 86, 246, 247 [BGH 19.09.1985 - IX ZR 138/84]; MDR 06, 1392, 1393). Die Anwendung des § 287 führt sicherlich in vielen Fällen dazu, ein non liquet zu vermeiden und damit die Zahl der Beweislastentscheidungen zu verringern (MüKoZPO/Prütting Rz 31). Die Vorschrift berechtigt aber nicht dazu, Ansprüche gleichsam nach freiem Ermessen ohne ausreichende Schätzungsgrundlage zuzusprechen. Lässt sich trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten des § 287 nicht einmal ein Mindestschaden feststellen, so geht dies nach allgemeinen Regeln zu Lasten des Geschädigten, der die objektive Beweislast für die Entstehung und die Höhe des behaupteten Schadens trägt.

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