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Die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis setzt das Vorliegen eines typischen Geschehensablaufs voraus, dh es muss ein Tatbestand feststehen oder bewiesen werden, bei dem die Regeln des Lebens und die Erfahrung des Üblichen und Gewöhnlichen dem Richter die Überzeugung vermitteln, dass auch in dem von ihm zu entscheidenden Fall der Ursachenverlauf so gegeben ist wie in den vergleichbaren Fällen (BGH NJW-RR 88, 789, 790 [BGH 17.02.1988 - IVa ZR 277/86]; ähnl BGH NJW 19, 661, 664 [BGH 11.12.2018 - KZR 26/17]). Auf Grund der Typizität des Geschehensablaufs muss es sich also erübrigen, die tatsächlichen Einzelumstände eines historischen Geschehens nachzuweisen. Abzustellen ist dabei nicht ausschließlich auf die Wahrscheinlichkeit des angenommenen Geschehens, sondern auf dessen Erscheinungsform als Muster (BGH NJW 91, 230, 231). Auch eine weniger hohe statistische Wahrscheinlichkeit kann also zur Anwendung des Anscheinsbeweises führen. Auf Grund der Typizität des Geschehens wird der Richter trotz des Vorliegens einer ihm bewussten Lücke und ohne eine ins Einzelne gehende Ermittlung des konkreten Sachverhalts im Wege einer abstrakten Gesamtbetrachtung des Falles zur Entscheidung befugt. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines typischen Geschehensablaufs trägt die Partei, die sich auf das Eingreifen eines Anscheinsbeweises beruft (BGH NJW 06, 300, 301; BGHZ 208, 331, 343 Rz 37 = NJW 16, 2024, 2027). Dabei verändert sich das Beweisthema. Nicht die Haupttatsache bedarf des substantiierten Vortrags und des Beweises, sondern die Vermutungsgrundlage, dh die Tatsachen, aus denen sich der typische Geschehensablauf ergibt. Diese müssen voll bewiesen werden. Kommen für einen Schaden zwei unabhängig voneinander bestehende typische Geschehensabläufe in Betracht, so reicht es für die Beweisführung aus, dass einer dieser Anscheinstatbestände eingreift. Etwas anderes gilt nur dann, wenn nur einer der Erfahrungssätze zur Haftung des Gegners führt. In diesem Fall muss geklärt werden, welcher Erfahrungssatz eingreift (vgl Köln MDR 05, 1346 [OLG Köln 25.02.2005 - 6 U 139/04]).

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