I. Kapitalmarktdeliktsrecht (Abs 1 Nr 1).

 

Rn 6

Die Vorschrift des Abs 1 Nr 1 ist unverändert geblieben und umfasst das Kapitalmarktdeliktsrecht (zum Begriff Hellgardt 2 ff), dh insbesondere Ansprüche aus Prospekthaftung sowie wegen unterlassener oder fehlerhafter ad-hoc-Informationen (vgl die Definition der öffentlichen Kapitalmarktinformationen in Abs 2). Auf die behauptete Anspruchsgrundlage kommt es dabei nicht an (Stuttg 29.10.19 – 1 U 205/18). Der Anwendungsbereich ist nicht auf Klagen gegen Emittenten von Wertpapieren beschränkt, sondern umfasst auch Ansprüche gegen andere Beteiligte, zB emissionsbegleitende Banken oder einzelne Organmitglieder des Emittenten, soweit das materielle Recht derartige Ansprüche vorsieht (FA-HandelsR/Tewes Kap 28 Rz 9; wohl aA KG ZIP 09, 1527).

II. Vertragliche und vorvertragliche Schuldverhältnisse (Abs 1 Nr 2).

 

Rn 7

Mit der Reform des KapMuG 2012 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass auch solche Klagen KapMuG-fähig sind, die sich auf ein vertragliches oder vorvertragliches (LG Frankfurt/M NZG 14, 507) Schuldverhältnis stützen, zB bei einem Anlageberatungsvertrag (dazu Wiewel VuR 13, 173) oder bei einer auf § 311 Abs 2 oder 3 BGB gestützten Prospekthaftung im weiteren Sinne. Derartige Ansprüche sind aber nur KapMuG-fähig, wenn der behauptete Beratungs- oder Aufklärungsfehler sich auf eine öffentliche Kapitalmarktinformation bezieht und diese auch als Mittel der schriftlichen Aufklärung dem Anleger übergeben wurde (BGH NJW 19, 3444, 3445), nicht dagegen bei sonstigen behaupteten Aufklärungsfehlern (BGH ZIP 19, 25 Rz 73). Materiell-rechtlich ist jedoch der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung zu beachten (BGHZ 228, 237; BGH NZG 22, 1113; vgl im Kontext des KapMuG BGH NZG 22, 1149; Waßmuth/Asmus/Rummel BKR 22, 543). Ist der notwendige Bezug zu öffentlichen Kapitalmarktinformationen jedoch gegeben, so kommt es für die Anwendung des KapMuG nicht auf die von den Klägern genannten Anspruchsgrundlagen an (LG Frankfurt/M NZG 14, 507). Insbesondere können auch Klagen gegen Emittenten von Wertpapieren und gegen die Vermittler dieser Papiere in einem Musterverfahren zusammengefasst werden (BTDrs 17/8799, 16). Zu den Voraussetzungen der Verfahrensaussetzung in derartigen Fällen s § 8 KapMuG Rn 2 ff.

III. Schadensersatzansprüche.

 

Rn 8

Während im Referentenentwurf von 2011 noch allgemein von ›Ansprüchen‹ die Rede war, beschränkt das Gesetz nun in Abs 1 Nr 1 u 2 seinen Anwendungsbereich weiterhin ohne ersichtlichen Grund auf ›Schadensersatzansprüche‹, so dass zB ein gesellschaftsrechtlich begründeter Abfindungsanspruch nach Kündigung dem Wortlaut nach nicht in den Anwendungsbereich fällt (krit Wigand ZBB 12, 194, 195 mwN). Jedoch sind Feststellungsklagen bzgl des Vorliegens von Schadensersatzansprüchen in den Anwendungsbereich des KapMuG einbezogen (BGH WM 15, 2308 mwN).

IV. Ansprüche anlässlich von Übernahmen (Abs 1 Nr 3).

 

Rn 9

Umfasst sind Erfüllungsansprüche aus Verträgen, die durch Annahme von Angeboten gem §§ 10 ff WpÜG geschlossen worden sind, ggf aber auch Ansprüche auf Abgabe eines höheren Angebots (Maier-Reimer/Wilsing ZGR 06, 79, 86); nicht aber eine Finanzierungszusage gem § 13 Abs 1 S 2 WpÜG (Maier-Reimer/Wilsing ebd). Außerdem sind ggf bestehende Ansprüche wegen Fehlinformationen oder Marktmanipulation im Kontext eines Delisting (§ 39 III BörsG) umfasst.

V. Begriff der öffentlichen Kapitalmarktinformationen (Abs 2).

 

Rn 10

Die Legaldefinition in Abs 2 umfasst nicht nur Informationen über den Emittenten von Wertpapieren, sondern auch über Anbieter von ›sonstigen Vermögensanlagen‹ wie etwa geschlossener Fonds in Form einer Unternehmensbeteiligung, zB als Kommanditanteile. Eine Prospektpflicht wird nicht vorausgesetzt und es ist auch der sog ›graue‹ Kapitalmarkt umfasst (BGH NJW 07, 1364; BGHZ 177, 88). Die Aufzählung in Abs 2 Nr 1–6 ist nicht abschließend (›insbesondere‹). Zur Klarstellung wurde 2013 in Abs 2 Nr 2 auch das neu geschaffene Kapitalanlagegesetzbuch aufgenommen. Das ›Konditionenblatt‹ einer als Zertifikat bezeichneten Schuldverschreibung fällt unter den Begriff des Abs 2 (Frankf 22.4.15 – 23 Kap 1/13). Auch der Bestätigungsvermerk eines Wirtschaftsprüfers kommt als Kapitalmarktinformation iSd Abs 2 in Betracht (Stuttg NZG 21, 1459, 1460, München NZG 22, 1632, 1635; Foerster ZIP 22, 1683, aA Möllers BKR 22, 339, Knops BKR 22, 366), nicht jedoch die Behauptung, bei der Prospekterstellung sei der IDW-S4-Standard eingehalten worden (BGH ZIP 21, 2442).

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