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Die Sitzungspolizei umfasst alle Befugnisse und Maßnahmen, die erforderlich sind, um im Interesse der Wahrheitsfindung den ungestörten äußeren Verlauf der Sitzung zu sichern (BGH NJW 98, 1420). Die Gestaltung der gerichtlichen Verhandlung und der sitzungspolizeilichen Anordnungen liegt, soweit das Verfahrensrecht keine gegenläufigen Vorkehrungen trifft, im Ermessen des Vorsitzenden (BVerfG NJW 08, 977). Eine Entscheidung des Gerichts an Stelle des Vorsitzenden ist unschädlich (Karlsr NJW 77, 309, offen gelassen in BGH NStZ 92, 389). Welche Anordnung zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Beseitigung einer Störung zu treffen ist, hängt von der Art der Beeinträchtigung ab. Um sein Ermessen ausüben zu können, muss der Richter zuvor allerdings prüfen, ob eine Beeinträchtigung der Ordnung der Sitzung überhaupt vorliegt oder konkret zu besorgen ist (BVerfG NJW 07, 56 [BVerfG 27.06.2006 - 2 BvR 677/05]). Bei der Wahrnehmung seines Ermessens hat der Vorsitzende entgegenstehende Belange zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (BVerfG NJW 08, 977 [BVerfG 19.12.2007 - 1 BvR 620/07]). Dies gilt insb für die Zulassung von Presseberichterstattungen (BVerfG NJW 09, 2117 [BVerfG 03.04.2009 - 1 BvR 654/09]). Anordnungen des Vorsitzenden zur Beschränkung der Medienberichterstattung (Medienverfügungen) stellen Eingriffe in den Schutzbereich der Pressefreiheit aus Art 5 I 2 GG dar. Diese umfasst auch die bildliche Dokumentation des Erscheinens und der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten im Sitzungssaal. Beim Erlass beschränkender Anordnungen hat der Vorsitzende den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Beschränkungen des Medienzugangs und der Berichterstattung bedürfen konkreter, auf Gesichtspunkte der Sitzungsleitung bezogener Gründe. Die Anordnung muss die für die Entscheidung maßgebenden Gründe offenlegen und dadurch den Betroffenen zu erkennen geben, dass in die Abwägung die grundrechtlich geschützten Informations- und Berichterstattungsinteressen der Medien und die Erfordernisse eines geordneten Verfahrensablaufs, insb mit Blick auf die Rechte der Verfahrensbeteiligten, eingestellt wurden (BVerfG 21.10.19 – 1 BvR 2309/19, NJW 20, 38).

Bei der Ermessensausübung sind einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Beteiligten, namentlich der Angeklagten und der Zeugen, aber auch der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs 1 i.V.m. 20 Abs 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insb. die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung zu beachten (vgl BVerfG, Beschl v 17.8.17 – 1 BvR 1741/17 mwN. Die unbeeinträchtigte äußere Ordnung des Verhandlungsablaufs ist ebenso wichtig wie die Kontrolle der Gerichtsverhandlung durch die Öffentlichkeit (BGH NJW 06, 1220). Die sitzungspolizeilichen Befugnisse umfassen das Recht und die Pflicht, mit geeigneten Mitteln darauf hinzuwirken, dass Zeugen keinem Druck zur Beeinflussung ihres Aussageverhaltens ausgesetzt werden. Gegebenenfalls können aus diesem Grund auch Zuhörer des Saals verwiesen werden (BGH NStZ 04, 220).

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