Rn 7

Abs 2 S 1 enthält eine abschließende Aufzählung (vgl BTDrs 19/23707, 57) der Tatbestände, die ein Absehen von der Kindesanhörung und der Verschaffung eines Eindrucks ermöglichen.

 

Rn 8

Ob weiterhin von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn sicher feststeht, dass sie keinen Erkenntnisgewinn erbringen wird, ist fraglich. Die Pflicht zur Anhörung des Kindes bestand auch nach der bis zum 30.6.21 geltenden Rechtslage zwar grds auch dann, wenn es in einem früheren Verfahren bereits angehört worden war. Dennoch konnte in einem solchen Fall ausnw von einer erneuten Anhörung abgesehen werden, wenn das frühere Verfahren, in dem das Kind angehört wurde, einen vergleichbaren Verfahrensgegenstand aufwies und die Anhörung noch nicht lange zurückliegt (vgl hierzu BGH FuR 11, 401; Saarbr FuR 18, 313; Prütting/Helms/Hammer § 159 Rz 12: zB Hauptsache- und einstweiliges Anordnungsverfahren). Diese Konstellation wird von dem nun in Abs 2 enthaltenen Katalog nicht umfasst.

1. Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes (S 1 Nr 1).

 

Rn 9

Nach Abs 2 S 1 Nr 1 darf das Gericht von der Anhörung und der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nur aus schwerwiegenden Gründen absehen. Die Regelung entspricht § 159 III S 1 aF. Angesichts der vielfältigen, in Betracht kommenden Ausnahmegründe hatte der Gesetzgeber von einer Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals in § 159 III 1 aF abgesehen (BTDrs 16/6308, 428). Die Regelung erfordert eine Abwägung des Interesses an einer eingehenden Sachaufklärung gegen das Interesse des anzuhörenden Kindes, von der Anhörung freigestellt zu werden; je bedeutsamer der mögliche Eingriff in die Rechtssphäre des Kindes ist, umso stärker ist die Pflicht zur Anhörung (BGH FuR19, 103; Sternal/Schäder § 159 Rz 10; Prütting/Helms/Hammer § 159 Rz 16; Musielak/Borth/Borth/Grandel § 159 Rz 5). Im Rahmen der Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, inwieweit es möglich ist, durch die Auskunft anderer Verfahrensbeteiligter, wie etwa des Verfahrensbeistands, des Umgangs- bzw. Ergänzungspflegers oder eines Mitarbeiters des Jugendamts, verlässlich zu erfahren, welche Neigungen, Bindungen oder Wünsche das Kind hat (BGH FuR 19, 103).

 

Rn 10

[nicht besetzt]

 

Rn 11

Die Anhörung eines Kindes ist für das Gericht eine hervorragende Erkenntnisquelle, weil sie es dem Gericht ermöglicht, einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind, seinen Neigungen, Bindungen oder Vorstellungen zu bekommen (vgl FAKomm-FamR/Ziegler § 159 Rz 8) – nicht selten auch davon, dass ein Kind bereits durch einen Elternteil erheblich beeinflusst worden ist, was ebenfalls für die zu treffende Entscheidung eine wichtige Information sein kann.

 

Rn 12

Vor dem Hintergrund der Bedeutung der persönlichen Kindesanhörung ist die Regelung orientiert am Kindeswohl auszulegen und bei Vorliegen triftiger, das Wohl des Kindes nachhaltig berührender Gründe anzuwenden (Braunschw FamRZ 19, 119). Schwerwiegende Gründe, die ein Absehen von der Kindesanhörung rechtfertigen können, liegen dementsprechend insb dann vor, wenn die Gefahr besteht, dass das Kind durch die Anhörung in einer mit seinem Wohl nicht zu vereinbarenden Weise psychisch belastet wird (vgl Hamm FamFR 12, 93; Stuttg FamRZ 13, 1318) bzw wenn die Anhörung des Kindes zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner körperlichen oder seelischen Gesundheit führen würde (BTDrs 19/23707, 57; vgl auch schon 16/6308, 428 zu § 159 aF; Sternal/Schäder § 159 Rz 11; Prütting/Helms/Hammer § 159 Rz 17; FAKomm-FamR/Ziegler § 159 Rz 8; BGH NJW-RR 86, 1130; FuR 19, 103; Braunschw FamRZ 19, 119: schwere manipulative Beeinflussung des Kindes durch einen Elternteil; Köln FamRZ 97, 1549; MüKoFamFG/Schumann § 159 Rz 6 f; Zö/Lorenz § 159 Rz 4). Dabei hat das Gericht vorab zu prüfen, ob eine zu erwartende gesundheitliche oder seelische Belastung für das Kind nicht durch eine schonende Ausgestaltung der persönlichen Anhörung ausreichend gemindert werden kann (Köln FamRZ 97, 1549; Carl FamRZ 16, 240, 245).

 

Rn 13

Die mit jeder gerichtlichen Anhörung für das Kind verbundene Belastung rechtfertigt ein Absehen hiervon nicht; diese Beeinträchtigung hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen (BayObLG FamRZ 87, 87; Brandbg 29.8.12 – 3 UF 77/12, juris). Regelmäßig ist die Anhörung des Kindes durch das Gericht deutlich weniger belastend als die nicht selten gravierenden Beeinträchtigungen durch den Elternstreit.

 

Rn 14

Ein schwerwiegender Grund für das Absehen von der Anhörung des Kindes liegt ebenfalls nicht vor, weil die Eltern auf die Anhörung des Kindes verzichtet haben (BGH FuR 11, 401; München FamRZ 10, 486; Rostock FamRZ 07, 1835) oder sie dies nicht wünschen (Zweibr FamRZ 09, 246; Oldbg FuR 09, 645); die dem Gericht obliegende Amtsermittlung unterliegt nicht der Disposition der Beteiligten (BGH FuR 11, 401). Haben Eltern ihre Einwilligung in den Sorgerechtsentzug erklärt, ist dies für die zu treffende Entscheidung ohne materielle Bedeutung, da die Eingriffsvoraussetzungen nach §§ 1666, 1666a BGB gleichwohl geprüft werden müssen; deshalb kann von der Anhörung des Kindes nicht abgesehen werden (Ddo...

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