Zusammenfassung

 

Art. 45 Brüssel Ia-VO(1) Die Anerkennung einer Entscheidung wird auf Antrag eines Berechtigten versagt, wenn

a) die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde;
b) dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte;
c) die Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist;
d) die Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung im ersuchten Mitgliedstaat erfüllt, oder
e)

die Entscheidung unvereinbar ist

i) mit Kapitel II Abschnitte 3, 4 oder 5, sofern der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist, oder
ii) mit Kapitel II Abschnitt 6.

(2) Das mit dem Antrag befasste Gericht ist bei der Prüfung, ob eine der in Absatz 1 Buchstabe e angeführten Zuständigkeiten gegeben ist, an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, aufgrund deren das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit angenommen hat.

(3) Die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts darf, unbeschadet des Absatzes 1 Buchstabe e, nicht nachgeprüft werden. Die Vorschriften über die Zuständigkeit gehören nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe a.

(4) Der Antrag auf Versagung der Anerkennung ist gemäß den Verfahren des Unterabschnitts 2 und gegebenenfalls des Abschnitts 4 zu stellen.

A. Normgegenstand.

 

Rn 1

Erfasst werden zunächst nur Entscheidungen iSv Art 2 lit a, soweit der Anwendungsbereich der EuGVO eröffnet ist. Die Norm enthält in Abs 1 (iVm Abs 3 S 2) eine abschließende Enumeration der Versagungsgründe für eine Anerkennung (Art 36). Diese sind aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen (stRspr des EuGH, vgl EuGH–C-7/98 – Krombach/Bamberski, Rz 21, NJW 00, 1853, 1854). Ergänzend verbietet Art 52 ausdrücklich eine sog révision au fond. Ferner enthält die Norm prozessuale Vorgaben für den Antrag auf Versagung der Anerkennung (vgl eingehend Rn 20 ff). Insbesondere wird das Vorliegen der Versagungsgründe nicht vAw, sondern nur auf Antrag (Abs 1, 4) geprüft. Daraus folgt freilich nicht, dass das Gericht nur solche Gründe berücksichtigen dürfte, die im Antrag bezeichnet sind. In der Literatur wird allerdings mit Blick auf den ordre public eine rechtsfortbildende Einschränkung für überindividuelle Rechtsgüter erwogen, deren Verteidigung gerade nicht im Interesse eines Antragsberechtigten liegen mag, vgl Pfeiffer, ZZP 14, 409, 426.

B. Gründe für die Versagung der Anerkennung (Abs 1).

I. Verstoß gegen ordre public (lit a).

 

Rn 2

Lit a trägt dem Umstand Rechnung, dass nach dem derzeitigen Stand der Rechtsangleichung in Europa die Folgen der Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung eines anderen Mitgliedstaates schlechterdings unvereinbar sein können. Inzwischen verzichten allerdings die EuVTVO, die EuMVVO (VO Nr 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens) und die EuBagatellVO (VO Nr 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen) auf einen Ordre-public-Vorbehalt (dazu etwa Freitag FS Kropholler 08, 759 ff). Die Regelung zum ordre public in lit a ist ein Auffangtatbestand ggü den speziellen Vorbehalten in lit b–e. Sie ist von dem Spannungsverhältnis geprägt, dass es einerseits Sache der Mitgliedstaaten sein muss, ihre öffentliche Ordnung selbst zu definieren, andererseits aber der EuGH den Begriff des ordre public verordnungsautonom auszulegen hat. Diesem obliegt es daher, die dem Beurteilungsspielraum nationaler Gerichte durch lit a gesetzten Grenzen festzustellen (EuGH C-681/13 – Diageo Brands/Simiramida, Rz 42, EuZW 15, 713; EuGH C-302/13 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS, Rz 47, RIW 14, 830; Rauscher/Leible Rz 6; Zö/Geimer Rz 7). Dabei ist lit a eng auszulegen (zur fehlenden Verteidigungsmöglichkeit ggü einem VU mangels Begründung und Art 47 II GR-Charta EuGH C-619/10 – Trade Agency/Seramico, EuZW 12, 912). Daneben kann ein Ordre-Public-Verstoß aus der Missachtung von Vorgaben des Unionsrechts folgen (EuGH (C-681/13 – Diageo Brands/Simiramida, Rz 48, EuZW 15, 714, 715 EuGH C-38/98 – Renault/Maxicar, NJW 00, 2185, 2186). Auch insoweit gilt aber das allgemeine Erfordernis eines ›offensichtlichen‹ Widerspruchs zur öffentlichen Ordnung, weshalb eine Versagung der Anerkennung immer nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommt (EuGH C-420/07 – Apostolides/Orams Rz 55, BeckRS 09, 70441; EuGH C-7/98 – Krombach/Bamberski, Rz 21, NJW 00, 1853, 1854; BGH NJW-RR 12, 101...

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