Gesetzestext

 

(1) Diese Verordnung gilt für Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden über unbestrittene Forderungen. Eine Forderung gilt als ›unbestritten‹, wenn

a) der Schuldner ihr im gerichtlichen Verfahren ausdrücklich durch Anerkenntnis oder durch einen von einem Gericht gebilligten oder vor einem Gericht im Laufe eines Verfahrens geschlossenen Vergleich zugestimmt hat oder
b) der Schuldner ihr im gerichtlichen Verfahren zu keiner Zeit nach den maßgeblichen Verfahrensvorschriften des Rechts des Ursprungsmitgliedstaats widersprochen hat oder
c) der Schuldner zu einer Gerichtsverhandlung über die Forderung nicht erschienen oder dabei nicht vertreten worden ist, nachdem er zuvor im gerichtlichen Verfahren der Forderung widersprochen hatte, sofern ein solches Verhalten nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats als stillschweigendes Zugeständnis der Forderung oder des vom Gläubiger behaupteten Sachverhalts anzusehen ist oder
d) der Schuldner die Forderung ausdrücklich in einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat.

(2) Diese Verordnung gilt auch für Entscheidungen, die nach Anfechtung von als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidungen, gerichtlichen Vergleichen oder öffentlichen Urkunden ergangen sind.

 

Rn 1

Eine Forderung ist unbestritten iSd Abs 1 lit a, wenn über sie ein Anerkenntnisurteil (§ 307) ergangen ist oder ein Prozessvergleich oder gerichtlich festgestellter Vergleich (§ 278 IV) geschlossen wurde. Prozessvergleiche sind in Deutschland alle Fälle des § 794 I Nr 1 vor einer dort genannten Gütestelle, weil der Begriff des ›Gerichts‹ hier sämtliche staatlich organisierte Streitbeilegung umfasst. Die in der Vorschrift genannte ›Billigung‹ durch das Gericht setzt keine inhaltliche Prüfung des Vergleichs voraus, sondern umfasst auch die bloße Protokollierung des Vergleichs durch das Gericht. Erfasst sind auch Vergleiche im PKH-Verfahren (§ 118 I S 3) und im selbständigen Beweisverfahren (§ 492 III). Beim Anwaltsvergleich ist ein Beschluss des Gerichts gem § 796b erforderlich und ausreichend (Wagner IPRax 05, 189, 192).

 

Rn 2

Außergerichtlich geschlossene Vergleichsverträge müssen allerdings die Anforderungen einer öffentlichen Urkunde gem Art 4 Nr 3 erfüllen, um als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt zu werden.

 

Rn 3

Abs 1 lit b betrifft den Fall des passiv bleibenden Schuldners. Die Vorschriften der Art 13 ff sichern ihm die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs; bei unbekannter Anschrift ist daher eine Bestätigung gem EuVTVO nicht möglich (s Art 14 Rn 1). Äußert er sich im anhängigen Verfahren gar nicht, so wird die Forderung als ›unbestritten‹ iSd Verordnung betrachtet und die daraufhin ergehende Entscheidung kann als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden (EuGH NJW 16, 2311, 2313). Das Bestreiten der Forderung in vorprozessualer Korrespondenz oder sonstige Äußerungen außerhalb des Verfahrens sind nicht ausreichend, denn die Vorschrift verlangt ein Widersprechen ›im gerichtlichen Verfahren‹. Auch die bloße Zuständigkeitsrüge gilt nicht als Widersprechen iSd Vorschrift. Jegliche sachbezogene Reaktion auf die Forderung, zB die bloße Verteidigungsanzeige oder Zuständigkeitsrüge mit hilfsweiser Einlassung zur Sache, ist dagegen ein Widersprechen iSd Vorschrift.

 

Rn 4

Aus deutscher Sicht gehören zu Abs 1 lit b insb das Versäumnisurteil gem § 331 III, das Versäumnisurteil gem § 331 I, wenn ein früher erster Termin angeordnet wird und der Beklagte sich nicht im dargestellten Sinne äußert oder gar nicht erscheint sowie der Vollstreckungsbescheid. Hat der Beklagte im schriftlichen Vorverfahren Klagabweisungsantrag gestellt, so ist dies regelmäßig als Widerspruch iSv Abs 1 lit b zu werten, es sei denn, dass der Antrag ausdrücklich nur als Zuständigkeitsrüge zu verstehen ist; eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel kommt bei Säumnis im Termin dann gem lit c in Betracht. Auch die zur Insolvenztabelle festgestellte Forderung kommt als unbestrittene Forderung iSd EuVTVO in Betracht (LG Aachen NZI 15, 871 [LG Aachen 17.07.2015 - 6 T 44/15]). Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz, die ohne Anhörung des Schuldners ergangen sind und gegen die der Widerspruch statthaft ist, fallen nicht unter lit b (ausf Bittmann IPRax 12, 62, 65).

 

Rn 5

Unter lit c fallen im deutschen Prozess va Versäumnisurteile, wenn der Schuldner im Termin säumig ist, der Forderung aber zuvor im schriftlichen Vorverfahren widersprochen hatte.

 

Rn 6

(nicht besetzt)

 

Rn 7

Eine Entscheidung nach Aktenlage (§ 331a) enthält anders als das Versäumnisurteil keine Geständnisfiktion und kann daher nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden.

 

Rn 8

Der Begriff der öffentlichen Urkunde gem Abs 1 lit d wird in Art 4 Nr 3 näher definiert. Die Anerkennung der Forderung in einer solchen Urkunde muss ›ausdrücklich‹ erfolgen, dh darf nicht etwa erst durch Interpretation der Urkunde ermittelbar sein. Auch die Anerkennung in einem Formblatt kann ›ausdrücklich‹ idS sein, wenn das Formblatt au...

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