Leitsatz

Ordnet ein Unternehmer den privat genutzten Teil eines Unternehmensgebäude dem (umsatzsteuerlichen) Unternehmen zu, steht ihm der volle Vorsteuerabzug aus dem Gebäude (Seeling-Urteil) zu. Nach § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG sind bei der jährlichen Besteuerung der Privatnutzung u. a. die anteilig auf die privat genutzten Teile entfallenden Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten auf 10 Jahre zu verteilen. Dem steht nach Auffassung des EuGH Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie nicht entgegen. Damit ist die für die Steuerpflichtigen günstigere Verteilung auf 50 Jahren nach deutschem Recht nicht zulässig.

 

Sachverhalt

Im Urteilsfall errichtete eine Hausgemeinschaft in 2003 ein Gebäude, das sie in vollem Umfang dem Unternehmen zuordnete. In diesem Gebäude befinden sich die privat genutzten Wohnräume der beiden Gemeinschafter sowie die an einen der Gemeinschafter vermieteten Räume einer Steuerkanzlei. Der Anteil der durch Option nach § 9 UStG steuerpflichtig vermieteten Räume beträgt 20,33 % des Gebäudes. Die Hausgemeinschaft machte zutreffend den vollen Vorsteuerabzug aus den Herstellungskosten des Gebäudes geltend und setzte entsprechend der Abschreibung (§ 7 Abs 4 Nr. 2 Buchst. a EStG) als Besteuerungsgrundlage für die Privatnutzung monatlich 2 % der auf diesen privat genutzten Teil entfallenden Herstellungskosten an. Dagegen setzte das Finanzamt unter Berufung auf das BMF-Schreiben v. 13.4.2004, BStBl 2004 I S. 468, entsprechend der Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 10 % der insoweit entstandenen Herstellungskosten an. Der die Bemessungsgrundlage der Privatnutzung regelnde § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG wurde zum 1.1.2004 entsprechend angepasst.

Aufgrund des Vorabentscheidungsersuchen des FG München v. 1.2.2005, 14 K 2944/04, UR S. 160, hat der EuGH nun entschieden, dass der Begriff der "Ausgaben" i. S. des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie zwar eine Verteilung der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten mit 2 % zuläßt; jedoch steht die von Deutschland gewählte Verteilung mit 10 % dem in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie beiwohnenden Ermessensspielraum eines Mitgliedstaates entgegen. Hierdurch wird der dem Steuerpflichtigen insoweit gewährte Liquiditätsvorteil gegenüber einem Endverbraucher zurecht verringert.

Vorsorglich stellte der EuGH für den Urteilsfall klar, daß die Kosten des Erwerbs des Grundstücks, auf dem das Gebäude errichtet ist, nur dann zur Bemessungsgrundlage für die Privatnutzung gehören, wenn dieser Erwerb der Mehrwertsteuer unterworfen war und der Steuerpflichtige insoweit den Vorsteuerabzug erhalten hat.

 

Hinweis

Bevor Einsprüche zurückgezogen werden, sollte die Entscheidung des BFH über eine anhängige Revision in gleicher Sache abgewartet werden (Az. V R 56/04; Vorinstanz Niedersächsisches FG, Urteil v. 28.10.2004, Az. 5 K 351-04, UR 2005 S. 162).

Bei vor dem 1.1.2007 hergestellten oder angeschafften gemischt-genutzten Gebäude ergibt sich nun die für den Steuerpflichtigen unerfreuliche Lage, dass dem Liquiditätsvorteil der Rückzahlung des Vorsteuerabzugs über nunmehr 10 Jahre der Nachteil entgegensteht, dass der Vorsteuerabzug mit 16 % erfolgte, die Privatnutzung ab dem Jahr 2007 jedoch mit 19 % besteuert wird. Bei einer Fertigstellung Ende 2006 mit Netto-Herstellungskosten für den Privatteil von 1 000 000 EUR steht dem Vorsteuerabzug von 160 000 EUR (16 %) eine jährliche Umsatzsteuer auf die Privatnutzung von 19 000 EUR (19 % von 100 000 EUR), also insgesamt von 190 000 EUR entgegen; dies entspricht einem effektiven Jahreszins von 3,75 % (vgl. hierzu Küffner & Zugmaier, USt 07-08/2006).

Zu beachten ist insoweit auch, dass die Verwaltung eine spätere Entnahme eines gemischt-genutzten Gebäudes durch den Steuerpflichtigen weiter als umsatzsteuerpflichtig ansieht; dies verstößt zwar voraussichtlich gegen die 6. EG-Richtlinie und kann durch einen steuerfreien entgeltlichen Verkauf des Gebäudes, z. B. an Angehörige, verhindert werden. Sind diese Aussichten dem Steuerpflichtigen zu bedrohlich, muss er ggf. prüfen, ob die (durch Geltendmachung des vollen Vorsteuerabzugs aus der Herstellung/Anschaffung des Gebäude) erfolgte Zuordnung der privat-genutzten Gebäudeteile zum (umsatzsteuerlichen) Unternehmen im Herstellungs- oder Anschaffungsjahr rückgängig gemacht werden kann. Ob dies die Verwaltung zulässt, bleibt abzuwarten.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil v. 14.09.2006, Rs. C – 72/05 Hausgemeinschaft Jörg und Stefanie Wollny.

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