Rdn 3393

 

Literaturhinweise:

Böß, Das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, NStZ 2020, 185

­Deutscher, Neue Regelungen zum Opferschutz und zur Stärkung der Beschuldigtenrechte im Strafverfahren, StRR 2013, 324

Eisenberg, Referentenentwurf des BMJ "Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG)" 2010, HRRS 2011, 65

R. Hamm, Notwendige Verteidigung bei behinderten Beschuldigten, NJW 1988, 1820

Galneder/Ruppert, Abwarten und … vernehmen? Die zeitlichen Grenzen der Pflichtverteidigerbestellung nach neuem Recht (§§ 141, 141a StPO) im Lichte des Art. 6 EMRK, StV 2021, 202

Hillenbrand, Die notwendige Verteidigung gem. § 140 StPO im Strafverfahren vor dem Amtsgericht – Teil 1, StRR 2014, 4

ders., Das neue Recht der Pflichtverteidigung, StRR 2/2020, 4

Hunsmann, Die Mitwirkung hör-, seh- und sprachbehinderter Personen im Strafverfahren, StRR 2014, 324

Jaklin, Die zeitnahe richterliche Vernehmung der Geschädigten bei Verdacht auf häusliche Gewalt, NStZ 2021, 70

Müller-Jacobsen, Das neue Recht der notwendigen Verteidigung, NJW 2020, 757

Schlothauer, Europäische Prozesskostenhilfe und notwendige Verteidigung, StV 2018, 169

Werner, Neuregelung der notwendigen Verteidigung für taube, stumme und blinde Beschuldigte – zum Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 17.5.1988, NStZ 1988, 346

s.a. die Hinw. bei → Pflichtverteidiger, Allgemeines, Teil P Rdn 3305 m.w.N.

 

Rdn 3394

§ 140 Abs. 1 zählt seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (BGBl I, S. 2128) am 13.12.2019 nunmehr insgesamt elf Fälle notwendiger Verteidigung auf. Die Erweiterung des Katalogs im Zuge der Reform diente zum einen der Umsetzung der Vorgaben der Prozesskostenhilferichtlinie v. 26.10.2016 (Richtlinie [EU] 2016/1919), zum anderen wurden bislang andernorts geregelte Beiordnungsgründe wie etwa jener der richterlichen Vernehmung (§ 143 Abs. 3 S. 4 a.F.) im Interesse einer klareren Gesetzessystematik in § 140 überführt. Trotz der hinsichtlich einzelner Beiordnungsgründe vorgenommenen Änderungen bereitet deren Auslegung i.d.R. weiterhin keine Schwierigkeiten.

Im Einzelnen sind in § 140 Abs. 1 folgende Beiordnungsgründe aufgeführt:

 

Rdn 3395

1.a) § 140 Abs. 1 Nr. 1 sieht die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, wenn zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem OLG, dem LG oder dem Schöffengericht stattfindet. Die Vorschrift hat durch die Reform zwei Änderungen erfahren: zum einen sind seither auch Verfahren vor dem Schöffengericht erfasst, womit auch das Jugendschöffengericht gemeint, ist (LG Saarbrücken, Beschl. v. 11.2.2020 – 3 Qs 11/20, StV 2020, 694 m. Anm. Hillenbrand StRR 3/2020, 22), und zum anderen genügt es nunmehr bereits für eine Beiordnung, wenn lediglich zu erwarten ist, dass die HV vor einem der genannten Gerichte stattfindet.

 

Rdn 3396

Während die erste Änderung praktisch bedeutungslos ist (aufgrund der Zuständigkeit des Schöffengerichts für Verbrechen bzw. für Verfahren mit mehr als zwei Jahren Straferwartung war dort auch schon vor der Reform regelmäßig ein Verteidiger beizuordnen), ist die zweite Änderung Ausdruck eines vom Gesetzgeber bewusst vollzogenen Perspektivenwechsels hinsichtlich des Beiordnungszeitpunkts weg von der HV hin zum EV (vgl. BT-Drucks 19/13829, S. 31) und führt zu deutlich früheren Beiordnungsentscheidungen: während nämlich nach altem Recht (§ 140 Abs: 1 Nr. 1 a.F.) ein Fall der notwendigen Verteidigung erst vorlag, wenn die HV tatsächlich vor dem OLG oder LG stattfand, genügt nunmehr bereits die Erwartung, die Sache werde (mindestens) beim Schöffengericht verhandelt werden, d.h. mit der Entscheidung über die Verteidigerbestellung darf nicht mehr zugewartet werden, bis am Ende auch tatsächlich Anklage dorthin erhoben wird. Die Beiordnung hat vielmehr bereits im EV zu erfolgen.

 

☆ Hierfür kann bereits ein Anfangsverdacht genügen, wenn die zugrunde liegenden Anhaltspunkte bereits die Erwartung rechtfertigen, die Tat werde bei weiterer Verdichtung zum hinreichenden Tatverdacht nicht vor dem Strafrichter beim AG, sondern vor einem der in Nr. 1 bezeichneten Gerichte angeklagt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt , § 140 Rn 11c). Die Gesetzesbegründung erwähnt insoweit den Verdacht eines Verbrechens (BT-Drucks 19/13829, S. 32), wobei hier auch § 140 Abs. 1 Nr. 2 greift. In solch offenkundigen Fällen ist über den Beiordnungsantrag zeitnah zu entscheiden (s. hierzu auch → Pflichtverteidiger, Zeitpunkt der Beiordnung , Teil P Rdn  3672 ).Anfangsverdacht genügen, wenn die zugrunde liegenden Anhaltspunkte bereits die Erwartung rechtfertigen, die Tat werde bei weiterer Verdichtung zum hinreichenden Tatverdacht nicht vor dem Strafrichter beim AG, sondern vor einem der in Nr. 1 bezeichneten Gerichte angeklagt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn 11c). Die Gesetzesbegründung erwähnt insoweit den Verdacht eines Verbrechens (BT-Drucks 19/13829, S. 32), wobei hier auch § 140 Abs. 1 Nr. 2 greift. In solch offenkundigen Fällen ist über de...

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