Entscheidungsstichwort (Thema)

Meistbegünstigung und Unterhaltsanspruch im Unterhaltsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bezeichnet das Familiengericht seine Entscheidung unter (fehlerhafter) Anwendung des bis 31.08.2009 geltenden Verfahrensrechts als „(Teil-)Urteil”, ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung sowohl das Rechtsmittel gegeben, das der erkennbaqr gewordenen Entscheidungsart entspricht, als auch dasjenige, das der Entscheidung entspricht, für die die Voraussetzungen gegeben waren (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, vor § 511 Rdnrn. 30 ff. m. w. Hinw.).

2. Der Anspruch auf Auskunftserteilung über Einkünfte und Vermögen gem. §§ 1580, 1605 BGB ist auch dann gegeben, wenn Gründe für die Versagung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs wegen grober Unbilligkeit gem. § 1579 BGB vorliegen.

3. Dass der geschiedene Ehegatte seinen eheangemessenen Unterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann (§ 1577 I BGB), kann er erst darlegen, wenn er Kenntnis über Einkünfte und Vermögen des Unterhaltsverpflichteten hat. Der Auskunftsanspruch gem. § 1580 BGB kann deshalb nicht mit der Begründung abgewiesen werden, der Anspruchsteller sei nicht unterhaltsbedürftig.

 

Normenkette

FamFG § 58; ZPO § 511; BGB § 1577 Abs. 1, §§ 1579-1580

 

Verfahrensgang

AG Landau (Pfalz) (Urteil vom 28.05.2010; Aktenzeichen 2 F 126/08)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird das Teilurteil des AG - Familiengericht - Landau, Zweigstelle Bad Bergzabern, vom 28.5.2010 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin Auskunft zu erteilen über seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermietung/Verpachtung in den Jahren 2007, 2008 und 2009 durch Vorlage

a) des Einkommensteuerbescheids für 2007,

b) der betriebswirtschaftlichen Auswertungen per 31.12.2008 und per 31.3.2009,

c) der Mietverträge.

II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

V. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 960 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das Rechtsmittel ist statthaft. Auf das Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 3 FGG-RG das ab 1.9.2009 geltende Verfahrenrecht anzuwenden, da die Sache zu diesem Zeitpunkt geruht hat. Danach ist gem. § 58 FamFG gegen die in erster Instanz ergangenen Endentscheidungen die Beschwerde statthaft. Die falsche Bezeichnung des Rechtsmittels als "Berufung" schadet nicht.

Die Beschwerde ist auch zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin ihr Rechtsmittel beim Berufungsgericht eingelegt hat, während vorliegend die Beschwerde innerhalb Monatsfrist beim AG einzulegen war. Denn die angefochtene Entscheidung ist unter (fehlerhafter) Anwendung des bis 31.8.2009 geltenden Verfahrensrechts als "(Teil-)Urteil" ergangen. Dieser Fehler darf nicht zu Lasten der Partei gehen. Ist nämlich für den Rechtsmittelführer aufgrund eines Fehlers oder einer Unklarheit der Entscheidung nicht eindeutig erkennbar, welches Rechtsmittel er wo einzulegen hat, ist nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung deshalb sowohl das Rechtsmittel gegeben, das der erkennbar gewordenen Entscheidungsart entspricht, als auch dasjenige, das der Entscheidung entspricht, für die die Voraussetzungen gegeben waren (Zöller/Gummer/Heßler, vor § 511 Rz. 30 ff. m.w.H.). Dabei darf es keine Rolle spielen, worauf die falsche Form der Entscheidung beruht. Auch wenn - wie vorliegend - der Fehler auf der Anwendung falschen Verfahrensrechts beruht, ist - zumindest in sog. "Altfällen" - das Vertrauen der Beteiligten auf die Richtigkeit der gewählten Entscheidungs-(Verfahrens-)form schutzwürdig. Das eingelegte Rechtsmittel erfüllt in förmlicher Hinsicht alle Voraussetzungen einer Berufung nach den §§ 624 Abs. 3 a.F., 511, 517, 519, 520 ZPO und ist im Weiteren als Beschwerde nach § 58 FamFG zu behandeln.

Insbesondere ist die Erwachsenheitssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht. Diese beläuft sich auf einen Bruchteil von jedenfalls nicht weniger als 10 % des nach § 9 ZPO (3 ½ facher Jahresbetrag) zu bemessenden Wertes der erstrebten Unterhaltsforderung und damit auf mindestens 1.680 EUR.

II. Die Beschwerde führt auch in der Sache zum Erfolg.

Entgegen der Ansicht der Erstrichterin ist der Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin gem. § 1580, 1605 BGB Auskunft über seine Einkünfte wie begehrt zu erteilen.

1. Der Senat teilt nicht die Ansicht, dass ein Unterhaltsanspruch von vornherein in vollem Umfang ausgeschlossen werden kann. Ob der nacheheliche Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gem. § 1579 BGB zu versagen ist, ist anhand einer differenzierenden Einzelfallprüfung zu entscheiden. § 1579 BGB gibt auch die Möglichkeit, den Unterhaltsanspruch lediglich herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, die völlige Versagung ist selbst bei Vorliegen grober Unbilligkeit nicht die Regel. Auch wenn einer der Tatbestände des § 1579 BGB erfüllt ist, hat deshalb eine Gesamtwürdigung der ehelichen Verhältnisse stattzufinden, ob unter Berücksichtigung der Schwere...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge