Leitsatz (amtlich)

1. Geringe textliche Abweichungen der Widerrufsbelehrung von der Musterbelehrung lassen die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV jedenfalls dann entfallen, wenn die erteilte Belehrung aufgrund der vorgenommenen Änderungen nicht in gleichem Maße deutlich ist wie die Musterbelehrung.

2. Entscheidet sich der Verwender dafür, eine Belehrung zu den Widerrufsfolgen zu erteilen, obwohl ihm dies nach den Gestaltungshinwiesen der Musterbelehrung freigestellt ist, muss sie dem Muster entsprechen, um dem Verwender die Schutzwirkung zu erhalten (Anschluss an BGH v. 28.6.2011 - XI ZR 349/10 Tz. 39).

3. Soweit § 312d Abs. 2 BGB in der bis 10.6.2010 geltenden Fassung regelt, dass die Widerrufsfrist nicht vor dem Tage des Vertragsschlusses beginnt, handelt es sich um eine Ereignisfrist (§ 187 Abs. 1 BGB) und nicht um eine Tagesanfangsfrist (§ 187 Abs. 2 BGB).

4. Belehrt der Darlehensgeber hinsichtlich der Voraussetzungen des Beginns der Widerrufsfrist gemäß § 312d Abs. 2 BGB dahin, dass die Frist "einen Tag nachdem" die in der Belehrung beschriebenen Ereignisse eingetreten sind beginne, " jedoch nicht vor dem Tag des Abschlusses des Darlehens-vertrages", verstößt dies gegen das Deutlichkeitsgebot, weil dadurch der Fehlvorstellung Vorschub geleistet wird, in Bezug auf den Abschluss des Darlehensvertrages sei die Widerrufsfrist im Gegensatz zu den weiteren genannten Ereignissen unter Einschluss des Tages des Vertragsschlusses zu berechnen.

4. Zum Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs.

 

Normenkette

BGB §§ 491, 495, 355, 312d Abs. 2, § 357 Abs. 1, § 346

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 08.01.2015; Aktenzeichen 6 O 64/14)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 8.1.2015 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 29.697,15 EUR

 

Gründe

I. Die Kläger verlangen nach Widerruf die Erstattung eines Aufhebungsentgelts, das sie im Zuge der Ablösung von sechs Verbraucherdarlehen geleistet haben, die die Beklagte in den Jahre 2004 bis 2010 gewährt hatte.

1. Mit Schreiben vom 27.10.2004 bot die Beklagte dem Kläger zu 1 ein Darlehen in Höhe von 80.000 Euro sowie ein Darlehen in Höhe von 200.000 Euro zu jeweils fest vereinbarten Zinssätzen an (Kontonummer xxxxx und xxxxx). Dieses Angebot nahm der Kläger zu 1 am 18.11.2004 an. Am 10.11.2004 schlossen die Parteien in Bezug auf die Zinskonditionen einen Änderungsvertrag. Der Darlehens- und der Änderungsvertrag enthielten folgende Widerrufsbelehrung:

Durch Vereinbarung vom 14.3.2008 verlängerten die Parteien den Darlehensvertrag zu neuen Konditionen mit Wirkung ab 1.8.2010.

Am 27.11./8.12.2008 schloss der Kläger zu 2 einen weiteren Darlehensvertrag (Kontonummer xxxxxx) mit der Beklagten über 30.000 Euro. Dieser Vertrag, sowie die weiteren, später abgeschlossenen Verträge enthielten folgende Widerrufsbelehrung:

Am 20.7./1.8.2011 verlängerten die Parteien das Darlehen zu neuen Konditionen (B 4a).

Am 22.1.2010 schloss der Kläger zu 1 nochmals einen Darlehensvertrag über 50.000 Euro (Kontonummer xxxxxxx) mit der Beklagten. Darüber hinaus schloss der Kläger zu 1 gemeinsam mit der Klägerin zu 2 am selben Tag einen Vertrag mit der Beklagten, wonach diese Darlehen in Höhe von 86.600 Euro und in Höhe von 25.500 Euro zur Verfügung stellte. Diesen Verträgen war jeweils dieselbe Widerrufsbelehrung beigefügt wie dem Vertrag vom 27.11./8.12.2008.

Bei den Verträgen vom 27.11./8.12.2008 und vom 22.1.2010 wurden zum Vertragsschluss und im Rahmen der Vertragsanbahnung ausschließlich Fernkommunikationsmittel eingesetzt. Ein persönlicher Kontakt bestand nicht.

Infolge der Veräußerung ihrer Immobilie baten die Kläger die Beklagte um die Möglichkeit, die Darlehen vorzeitig abzulösen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 unterbreitete die Beklagte je dem Kläger zu 1 sowie dem Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 gemeinsam ein Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages unter Vereinbarung eines entsprechenden Aufhebungsentgelts. Die Kläger nahmen das Angebot am 6.2.2012 an und lösten sämtliche Darlehen im Februar 2012 ab, der Kläger zu 1 bezahlte ein Aufhebungsentgelt von insgesamt 25.408,18 Euro, darüber hinaus bezahlte er gemeinsam mit der Klägerin zu 2 ein weiteres Aufhebungsentgelt in Höhe von 4.288,97 Euro.

Am 28.11.2013 widerriefen die Kläger ihre auf den Abschluss sämtlicher Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen und forderten die Rückzahlung der bezahlten Entgelte bis 6.12.2013. Dies verweigerte die Beklagte mit Schreiben vom 23.12.2013.

Die Kläger haben die Rückzahlung der bezahlten Aufhebungs...

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