Leitsatz (amtlich)

1. Die Grundsätze des verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog) sind auch im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander anzuwenden.

2. Ein undichter Sanitäranschluss begründet im Schadensfall in der Regel eine Haftung des Wohnungseigentümers als Störer.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 23.06.2005; Aktenzeichen 14 O 209/05)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil des Einzelrichters der 14. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 23.6.2005 (14 O 209/05) wird zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % der aufgrund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Streitwert der Berufung: 9.583,15 EUR

 

Gründe

I. Die Klägerin macht als Hausratsversicherer aus übergegangenem Recht Schadensersatz und Entschädigungsansprüche gegen die Beklagte aufgrund eines Wasserschadens geltend. Sowohl die Beklagte als auch die Versicherungsnehmerin der Klägerin sind Wohnungseigentümer, die ihre Wohnungen selbst nutzen.

Der maßgebliche Wasserhahn war nach dem Vorfall nicht beschädigt sondern weiterhin intakt. An anderen Stellen in dem Gebäudekomplex gab es gleichzeitig keine unkontrollierten Wasseraustritte.

Das LG hat durch Grundurteil festgestellt, dass die Beklagte gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB dem Grunde nach verpflichtet ist, der Klägerin ihre geltend gemachten Aufwendungen für die vorgetragenen Schadenspositionen zu ersetzen. Diese Vorschrift sei analog auch auf Wohnungseigentümer anwendbar. Auf die - im Detail streitige - Schadensursache komme es dabei nicht an.

Die Beklagte verfolgt mit der Berufung ihren Klageabweisungsantrag weiter. Sie rügt, das Urteil beruhe auf einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung. Da die Ursache des Wasseraustritts in ihrer Wohnung auf einem Druckstoß aus dem im Gemeinschaftseigentum stehenden Leitungssystem liege, sei sie nicht Störerin. Außerdem sei § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auf Wohnungseigentümer nicht anwendbar.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das LG hat zu Recht festgestellt, dass der Klägerin aus übergegangenem Recht gem. § 67 VVG ein Entschädigungsanspruch gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog zusteht.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (zuletzt BGH v. 12.12.2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188 = MDR 2004, 681 = BGHReport 2004, 428 m. Anm. Lorenz) ist ein - verschuldensunabhängiger - nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen nach § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden.

a) Es handelt sich vorliegend zwar nicht um Grundstückeigentümer. Zutreffend hat das LG jedoch ausgeführt, dass die Norm auch auf Wohnungseigentümer entsprechend Anwendung findet. Die Fälle sind - im Gegensatz zu Mietern (BGH v. 12.12.2003 - V ZR 180/03, BGHZ 157, 188 = MDR 2004, 681 = BGHReport 2004, 428 m. Anm. Lorenz) - strukturell gleich gelagert. Zwischen Wohnungseigentümern besteht - wie §§ 14 Nr. 1 und 15 Abs. 3 WEG zeigen - ein gesetzliches Schuldverhältnis, in dem das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme ebenso gilt wie im Nachbarverhältnis von Grundstückseigentümern. Da dieses Rücksichtnahmegebot in § 906 BGB eine Ausprägung erfahren hat, die auch auf Wohnungseigentümer übertragbar ist und von dem objektiven Regelungsplan des Gesetzes her bei Erkennen der Lücke auch übertragen worden wäre, ist die Vorschrift einschl. des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auf das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander entsprechend anwendbar. Dass daneben auch noch eine Verschuldenshaftung in Betracht kommt, ist für die Frage der Gesetzesanalogie ohne Bedeutung (Wenzel, NJW 2005, 241).

b) Die Beklagte war auch Störerin i.S.d. §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB. Die Störereigenschaft folgt nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht allein aus dem bloßen Umstand des Eigentums oder Besitzes an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht. Sie setzt andererseits auch keinen unmittelbaren Eingriff voraus. Vielmehr ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden (BGH v. 11.6.1999 - V ZR 377/98, BGHZ 142, 66 [69] = MDR 1999, 1132; NJW 1995, 2633 [2634], jeweils m.w.N.). Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -nutzer die Verantwortung für ein Geschehe...

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