Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung der Kenntnis eines Geschäftsführers über die Zahlungsunfähigkeit eines Insolvenzschuldners

 

Normenkette

InsO § 17 Abs. 2 S. 1, § 130 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Urteil vom 01.02.2010; Aktenzeichen 6 O 256/09)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.01.2013; Aktenzeichen IX ZR 184/10)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 01.02.2010 wird

z u r ü c k g e w i e s e n.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine Kostenvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 28.000,00 EUR

 

Tatbestand

I.

Zum Sachverhalt wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil, die keiner Änderung oder Ergänzung bedürfen, Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es sich nach Beweisaufnahme nicht davon überzeugen konnte, dass der Geschäftsführer der Beklagten positive Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hatte. Auf das Urteil vom 1.2.2010 wird wegen weiterer Einzelheiten der Begründung verwiesen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:

Unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Ravensburg vom

1. Februar 2010 – 6 O 256/09 – wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 28.000 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13. Mai 2008 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt und vertieft ihren diesbezüglichen Vortrag aus der ersten Instanz.

Auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift über die Verhandlung des Senats vom 7.9.2010 wird ergänzend verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die – zulässige – Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat einen Anspruch des Klägers gem. §§ 130, 143 Insolvenzordnung (InsO) zutreffend verneint. Kenntnis einer Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin am 2. April 2008 seitens der Beklagten (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ist nicht mit der nötigen Überzeugung bewiesen.

1.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin spätestens im Oktober 2007 eingetreten war und bis 2. April 2008 nicht beseitigt wurde.

Zwar sind Zweifel vorhanden, ob dies zutrifft. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Das bedeutet, dass nur Zahlungsverpflichtungen zu berücksichtigen sind (Uhlenbruck in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, 13. Aufl., § 17 Rn. 10). In dem Gutachten zur Zahlungsunfähigkeit vom 5. Mai 2009 (Anl. K 7, Seite 20) werden Ansprüche auf Lieferung von Fahrzeugen seitens der Endkunden angeführt. Daraus ergeben sich zunächst keine fälligen Zahlungsansprüche.

Auch wenn man Zahlungsansprüche der Endkunden gem. § 263 StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB bejahen würde, welche sofort fällig wären (BGH, Urteil vom 22. November 1990 – IX ZR 103/90, […] Rn. 6), so verbleibt es bei der Anforderung des Bundesgerichtshofs, dass nach dem Sinn und Zweck des § 17 Insolvenzordnung zu verlangen ist, dass ein „ernsthaftes Einfordern” der Ansprüche vorliegen muss (BGH, Urteil vom 19. Juli 2007 – IX ZB 36/07, […] Rn. 17; Urteil vom 14. Mai 2009 – IX ZR 63/08, […] Rn. 22). Dieses „ernsthafte Einfordern” seitens der Endkunden wurde von dem Kläger nicht vorgetragen.

Ob eine Ausnahme bei Ansprüchen aufgrund unerlaubter Handlungen zu machen ist, ist eher zu verneinen (BGH, Urteil vom 22. November 1990, a.a.O. […] Rn. 6, 11-15; der Bundesgerichtshof prüft das Vorliegen der Voraussetzung des „Einforderns”, obwohl auch Ansprüche gem. § 263 StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB geltend gemacht wurden).

2.

Letztendlich kann aber offen bleiben, ob die Insolvenzschuldnerin zahlungsunfähig war, da jedenfalls eine Kenntnis der Beklagten davon nicht gesichert festzustellen ist.

a.

Kenntnis bedeutet im Allgemeinen ein für sicher gehaltenes Wissen. Der Gläubiger kennt die Zahlungsunfähigkeit oder die Zahlungseinstellung als komplexe Rechtsbegriffe nur, wenn er die Liquidität oder das Zahlungsverhalten des Schuldners wenigstens laienhaft bewerten kann.

Nach § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. Was mit dieser Regelung gemeint ist, erschließt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nur lückenhaft (vgl. BGHZ 149, 1...

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