Leitsatz (amtlich)

1. Die Annahme, ein Darlehen habe Eigenkapitalersatzfunktion mit der Folge, dass in entsprechender Anwendung von § 30 GmbHG ein Auszahlungsverbot besteht, setzt die Feststellung voraus, dass sich die Gesellschaft zu einem bestimmen Zeitpunkt in einer Krise befunden hat und dass der Gesellschafter-Gläubiger das Darlehen trotz Kenntnis der Krise hat stehen lassen, obwohl er sie hätte erkennen und darauf durch Abzug seiner Mittel reagieren können. Eine Krise, die diese Umqualifizierung rechtfertigt, liegt vor, wenn die Gesellschaft entweder kreditunwürdig oder insolvenzreif, d.h. überschuldet oder zahlungsunfähig war.

2. Bei bis zum In-Kraft-Treten der InsO verwirklichten Tatbeständen liegt eine Überschuldung nach dem maßgeblichen zweigliedrigen Überschuldungsbegriff nur vor, wenn das Vermögen bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht decken würde (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens reicht (Fortbestehensprognose) (Anschluss BGHZ 119, 201, 214; BGH, ZIP 2001, 839).

3. a) Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen liegt bei der Gesellschaft, die sich zur Abwehr des Zahlungsanspruchs darauf beruft (Anschluss BGH ZIP 2001, 839).

b) Zur Darlegung der rechnerischen Überschuldung genügen eine Unterbilanz und ihre Fortschreibung nicht; ihnen kommt allenfalls indizielle Bedeutung zu. Es bedarf der Vorlage eines Überschuldungsstatus, in dem Rangrücktrittserklärungen nicht zu passivieren sind (Anschluss BGH ZIP 2001, 235).

 

Normenkette

GmbHG §§ 30, 32, 32a a.F.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 12 O 82/01)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Kläger wird das Urteil der 12. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 15.6.2001 – 12 O 82/01 abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 66.908,93 Euro nebst Zinsen aus 46.016,27 Euro i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG vom 1.7.2000 bis 31.12.2001 und i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des Bürgerlichen Gesetzbuchs seit 1.1.2002 zu bezahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 90.000 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Streitwert in beiden Instanzen und Beschwer für die Beklagte: 90.000 DM = 46.016,27 Euro.

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens nebst Zinsen geltend.

Die Beklagte war zunächst ein Tochterunternehmen der niederländischen N.B.V. Diese errichtete 1992 bei S. eine Golfanlage und gründete für deren Betrieb die Beklagte. Das Stammkapital der Beklagten beträgt 1 Mio. DM. Die N.B.V hat mittlerweile ihre Anteile auf die N. GmbH übertragen, die sie weiter auf die C. PLC übertragen hat.

Mit notariellem Vertrag vom 10.11.1993 erwarb der Kläger eine Gründereinheit (sog. Foundershare) mit folgenden Bestandteilen:

  • einem Geschäftsanteil im Nennbetrag von 3.300 DM an der Beklagten,
  • einem vom Kläger zu gewährenden verzinslichen Darlehen i.H.v. 90.000 DM,
  • zwei stillen Beteiligungen an der Beklagten i.H.v. jeweils 3.000 DM,
  • zwei Nutzungsberechtigungsverträgen im Wert von jeweils 2.850 DM.

Nach dem als Anl. D. der notariellen Urkunde beigefügten Darlehensvertrag wurde das Darlehen befristet bis zum 30.6.2000 gewährt. Die Zinsen von 7 % p.a. waren mit der Rückzahlung des Darlehens fällig. Der Kläger hat den Darlehensbetrag an die Beklagte ausgezahlt.

Insgesamt wurden 75 solcher Gründereinheiten an Minderheitsgesellschafter verkauft, die damit jeweils 0,33 % des Stammkapitals zeichneten.

Die Bilanz der Beklagten wies für 1996 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag i.H.v. 3.753.187,25 DM aus, für 1997 einen solchen von ca. 7,8 Mio. DM und für 1999 einen solchen von ca. 9,345 Mio. DM. Für Verbindlichkeiten ggü. Gesellschaftern und verbundenen Unternehmen i.H.v. insgesamt über 13 Mio. DM bestehen Rangrücktrittserklärungen.

Auf einer Gesellschafterversammlung vom 9.3.1998 stimmten 69 der 75 Gründungsgesellschafter einem Sanierungskonzept zu, das vorsah, die Darlehen der Gründungsgesellschafter zinslos zu stellen und die Rückzahlung bis längstens 31.12.2007 zu stunden. Der Kläger stimmte dem nicht zu. In der Folgezeit veräußerten die meisten Gründungsgesellschafter ihre Geschäftsanteile an die N. GmbH; damit verbunden war ein Verzicht auf die Zahlung von Darlehensvaluta und -zinsen. Der Kläger schloss auch einen solchen Vertrag nicht ab. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 29.12.1998 mit, dass die Sanierung als abgeschlossen gelten könne.

Mit Schreiben vom 26.6.2000 verlangte der Kläger von der Beklagten die vertragsgemäße Rückzahlung des Darlehens von 90.000 DM zuzüglich Zinsen i.H.v. 40.862,50 DM zum 30.6.2000. Die Beklagte hat nicht bezahlt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, nach Fälligkeit zum 30.6.2000 sei das Darlehen zurückzuzahlen. Dem stünden nicht die Grund...

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