Verfahrensgang

LG Hechingen (Urteil vom 07.10.2002; Aktenzeichen 1 O 411/2001)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Hechingen vom 7.10.2002 – Az.: 1 O 411/2001 – abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 51.129,19 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.6.2000 zu bezahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung der Klägerin i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

4. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert der Berufung: 17.301,23 Euro

Nach teilweiser Klagrücknahme: 51.129,19 Euro

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt als Eisenbahnverkehrsunternehmerin von der Beklagten als Eisenbahninfrastrukturunternehmerin Schadensersatz wegen eines Unfalles auf einer Trasse der Beklagten, bei dem durch einen auf den Schienen liegenden Felsbrocken der Triebwagen der Klägerin erheblich beschädigt wurde.

Die Klägerin war zur entgeltlichen Nutzung der Strecke der Beklagten für ihren eigenen fahrplanmäßigen Schienenpersonennahverkehr durch den zwischen den Parteien am 27.7./3.8.1999 geschlossenen Infrastrukturnutzungsvertrag (Bl. 14 ff. d.A.) berechtigt.

Wegen des Sachvortrags der Parteien wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung.

Das LG hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass die Gefährdungshaftung des § 1 Haftpflichtgesetz zwischen den Parteien nicht zur Anwendung komme und dass eine verschuldensabhängige Verkehrssicherungspflichtverletzung seitens der Beklagten nicht festgestellt werden könne, weil die vorgeschriebenen Kontrollen der Felswände vorgenommen und nicht zum Erkennen einer Gefahrenlage geführt hätten.

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.

Sie ist der Auffassung, dass die Erstrichter rechtsfehlerhaft ein Eingreifen von § 1 Haftpflichtgesetz im Verhältnis der Parteien zueinander verneint hätten. Im Rahmen der dann erforderlichen Überprüfung, ob eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorliege, begründe die Nichteinholung des bereits erstinstanzlich beantragten Sachverständigengutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil.

Nach teilweiser Klagrücknahme beantragt die Klägerin noch:

1. Das Urteil des LG Hechingen vom 7.10.2002 – 1 O 411/01 – wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin (100.000 DM =) 51.129,19 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 8.6.2000 zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 2/3 des Schadens zu ersetzen, der der Klägerin aus dem Eisenbahnunfall am 3.3.2000 auf der Strecke „Sigmaringen-Tübingen” durch Kollision mit einem Felsbrocken entstanden ist bis maximal (100.000 DM =) 51.129,19 Euro abzgl. des zu Ziff. 2 ausgeurteilten Betrages.

Die Beklagte stimmt der Klagrücknahme zu und beantragt i.Ü.:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Sie hält die landgerichtliche Entscheidung für richtig und stützt sich auf deren tragende Gründe.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf deren schriftsätzliches Vorbringen im Rechtsmittelverfahren verwiesen.

II. Die zulässige Berufung ist begründet.

1. Schadensersatzanspruch nach § 1 Haftpflichtgesetz:

Nachdem die Klägerin ihr Zahlungs-/Feststellungsbegehren auf die Haftungsgrenze für Sachschäden i.H.v. 51.129,19 Euro (= 100.000 DM) gem. § 10 Abs. 1 HPflG a.F. i.V.m. EGBGB Art. 229 § 8 Abs. 1 Nr. 5 beschränkt hat, ist der Rechtsstreit im Hinblick auf die Gefährdungshaftung der Beklagten gem. § 1 Abs. 1 HPflG entscheidungsreif. Die Beklagte ist der Klägerin bis zur Haftungshöchstgrenze zum Schadensersatz verpflichtet.

Das LG hat das Eingreifen dieser Haftungsnorm verneint mit der Begründung, dass die Klägerin nicht Geschädigter i.S.d. § 1 Abs. 1 HPflG sein könne, weil sie selbst Betriebsunternehmer sei. Die Klägerin bemängelt, dass die Erstrichter sich nicht krit. auseinandergesetzt hätten mit der von Filthaut vertretenen Auffassung im Kommentar zum Haftpflichtgesetz, 5. Aufl. 1999, und in dessen Aufsatz „Die Gefährdungshaftung nach § 1 Haftpflichtgesetz bei Nutzung von fremden Eisenbahninfrastrukturen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen”, VersR 2001, 1348 ff., unter Berücksichtigung der Ausführungen von Tavakoli in dessen Dissertation „Privatisierung und Haftung der Eisenbahn” aus dem Jahr 201.

Filthaut vertritt noch im Kommentar zum Haftpflichtgesetz, 5. Aufl. 1999, § 1 Rz. 54b, die Meinung, das Rechtsverhältnis zwischen den Eisenbahninfrastrukturunternehmen und den Eisenbahnunternehmen, die auf der Eisenbahninfrastruktur Personen oder Güter befördern, regele sich nach den Vorschriften des Pachtverhältnisses (§§ 581 ff. BGB).

In seinem neueren Aufsatz: „Die Gefährdungshaftung nach § 1 Haftpflichtgesetz bei Nutzung von fremden Eisenbahninfrastrukturen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen”, VersR 2001, 1348 ff., gibt Filthaut seine ursprüngli...

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