Leitsatz (amtlich)

1. Deliktische Ansprüche von Besitzern eines Fahrzeugs mit dem Motor EA189 gegen dessen Herstellerin haben in der Regel mit Ablauf des Jahres 2015 zu verjähren begonnen, weil das Unterlassen der Einholung einer Auskunft über die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs bei der Motorenherstellerin im Jahr 2015 angesichts der öffentlich verbreiteten Informationen des Kraftfahrtbundesamts und der Motorenherstellerin grob fahrlässig war. Danach sind solche Ansprüche ohne Verjährungshemmung mit Ablauf des 31. Dezembers 2018 verjährt.

2. Ein Käufer, der das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einem Dritten erworben hat, hat nach Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB keinen Anspruch aus § 852 S. 1 BGB gegen die am Erwerbsvorgang nicht beteiligte Herstellerin des Motors.

 

Normenkette

BGB §§ 826, 852

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 29.05.2020; Aktenzeichen 29 O 486/19)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29. Mai 2020 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart, Az. 29 O 486/19, dahingehend abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.

2. Die Berufung des Klägers gegen das am 29. Mai 2020 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart, Az. 29 O 486/19, wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert: 5.796,85 EUR

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Kraftfahrzeugs.

Er kaufte am 19.11.2010 als Gebrauchtfahrzeug einen am 13.11.2009 erstmals zugelassenen VW Golf VI TDI zu einem Kaufpreis von 16.300 EUR und mit einer Laufleistung von 17.800 km. Das Fahrzeug wurde übergeben, der Kaufpreis bezahlt. Es ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 (EU 5), der vom sogenannten "Abgasskandal" betroffen ist, ausgestattet. Der Kläger verlangt von der Beklagten, der Herstellerin des Fahrzeugs und des Motors, Schadensersatz.

Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagte wie auch zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger eine EG-Typgenehmigung vor. Die Motorsteuergerätesoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung; diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Die Software weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus 1, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben.

Mitte Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen an und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der in den Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Es ordnete an, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

1. Das Landgericht hat dem Kläger 3.535,18 EUR Schadensatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und vorgerichtliche Anwaltskosten zugesprochen sowie die Feststellung ausgesprochen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde.

Die Beklagte hafte dem Grunde nach gem. §§ 826, 31 BGB mit der Folge, dass der Kläger so zu stellen sei, als ob er den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf Ersatz des Kaufpreises abzüglich des dem Kläger zugeflossenen Nutzungsvorteils. Auf Basis einer vom Gericht geschätzten Gesamtlaufleistung von 250.000 km ergebe sich ein Nutzungsvorteil von 12.764,82 EUR mit der Folge, dass ein Anspruch des Klägers von 3.535,18 EUR verbleibe.

Der Anspruch sei nicht verjährt. Die Voraussetzungen für den Beginn der Verjährung seien im Jahr 2015 noch nicht erfüllt gewesen.

2. Der Kläger begehrt mit seiner Berufung die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 2.261,66 EUR. Die vom Landgericht bei der Ermittlung des Nutzungsvorteils angenommene Gesamtlaufleistung von 250.000 EUR sei zu niedrig, es sei mindestens eine Laufleistung von 300.000 km anzunehmen.

Der Kläger beantragt,

das am 29.05.2020 verkündete Urteils des Landgerichts Stuttgart, Aktenzeichen: 29 O 486/19, teilweise zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 2.261,66 EUR zu zahlen.

3. Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen

sowie

das am 29. Mai 2020 verkündete Urteil des Landgeric...

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