Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachfrageobliegenheitheit des Versicherers (wegen Krankheiten in der Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitsversicherung)

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn ein Versicherungsnehmer bei Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages mit Berufsunfähigkeitsschutz ggü. dem Versicherungsagenten auf das Vorliegen einer Erbkrankheit (hier: Kleinwüchsigkeit) hinweist, ohne diese und ihre medizinischen Auswirkungen näher bezeichnen zu können, löst dies die Nachfrageobliegenheit der Versicherung aus.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 18.12.2003; Aktenzeichen 22 O 281/03)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 22. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 18.12.2003 abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die bei der Beklagten bestehende Lebensversicherung ... mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Versicherung vom 1.9.2001 fortbesteht.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages zzgl. eines Aufschlags von 10 % abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zzgl. eines Aufschlages von 10 % leistet.

Streitwert in beiden Rechtszügen: 34.093 Euro.

 

Gründe

A. Der Kläger, von Beruf Fahrlehrer, begehrt die Feststellung, dass eine bei der Beklagten abgeschlossene Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitsschutz trotz Rücktrittserklärung der Beklagten mit Schreiben vom 27.9.2002 fortbesteht.

Der Kläger leidet seit seiner Geburt an einer erblich bedingten Stoffwechselkrankheit namens Mucopolysaccharidose, Typ Maroteaux-Lamy, die, so auch beim Kläger, zu Kleinwüchsigkeit und Skelettverformungen führt. Bei einem Verkehrsunfall im März 2001 hat der Kläger eine HWS-Distorsion erlitten, derentwegen er für 2 Tage krankgeschrieben war. Nach Mitteilung des behandelnden Arztes handelte es sich um eine bloße Verstauchung ohne Folgen.

Den Versicherungsantrag stellte der Kläger unter Mitwirkung des für die Beklagte tätigen Versicherungsagenten. Bei den Gesundheitsfragen gab er ein Nasen-Rachen-Fibrom an und benannte einen Arzt mit Anschrift. Alle sonstigen Gesundheitsfragen, auch die nach gehabten Unfällen, verneinte er. Der Kläger hat behauptet, er habe die für die Beklagte tätigen Versicherungsagenten auch auf die Erbkrankheit hingewiesen, daraufhin aber die Auskunft bekommen, diese Erkrankung müsse nicht in den Antrag aufgenommen werden.

Mit Schreiben vom 3.7.2002 teilte der Kläger auf eine entsprechende Anfrage dem Versicherungsagenten die genaue Bezeichnung der Erbkrankheit mit. Der Versicherungsagent leitete diese Information durch Schreiben vom 8.7.2002 mit einer telefonisch eingeholten Auskunft des behandelnden Arztes an die Beklagte weiter. Daraufhin schrieb die Beklagte den behandelnden Arzt an und bat um nähere Informationen, woraufhin sie am 10.9.2002 einen schriftlichen Bericht erhielt.

Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Zwar stehe aufgrund der Vernehmung der Versicherungsagenten fest, dass der Kläger auf eine Erbkrankheit und die dadurch bedingte geringere Körpergröße hingewiesen hat, nicht hingegen auf dadurch bedingte Skelettverformungen und auch nicht auf die HWS-Distorsion durch den Unfall im März 2001. Damit habe der Kläger die ihn nach § 16 VVG treffenden Anzeigepflichten verletzt. Der Rücktritt der Beklagten sei deshalb berechtigt. Die Frist des § 20 Abs. 1 VVG sei eingehalten, weil der schriftliche ärztliche Bericht eine hinreichende Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der Ausübung des Rücktrittsrechts darstelle.

Dagegen wendet sich der Kläger unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens mit der Berufung. Er ist weiter der Auffassung, dass er mit dem Hinweis auf die Erbkrankheit und die Kleinwüchsigkeit seiner Anzeigepflicht nachgekommen sei. Bereits die Kenntnis dieser Umstände hätte die Beklagte veranlassen müssen, weitere Informationen über die Erkrankung einzuholen, sodass sie einen Rücktritt nicht auf diese Umstände stützen könne. Bei der HWS-Distorsion handele es sich um eine nicht anzeigepflichtige Bagatellerkrankung, jedenfalls sei die Nichtangabe nicht schuldhaft erfolgt.

Der Kläger hat beantragt, das Urteil des LG Stuttgart vom 18.12.2003 abzuändern und festzustellen, dass die bei der Beklagten bestehende Lebensversicherung ... mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Versicherung vom 1.9.2001 fortbestehe.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Im vorliegenden Fall sei nicht ausreichend gewesen, dass der Kläger auf seine offensichtliche Kleinwüchsigkeit hingewiesen habe; er sei gehalten gewesen, auch über die ersichtlich für den Versicherungsabschluss relevanten vorliegenden Ske...

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