Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 24.10.2018; Aktenzeichen 22 O 101/16)

 

Tenor

1. Das Verfahren wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Kapitalanleger-Musterverfahren 3 Kap. 1/16 des Oberlandesgerichts Braunschweig und 20 Kap. 2/17 des Oberlandesgerichts Stuttgart ausgesetzt.

2. Die Höhe der betroffenen Ansprüche gemäß § 8 Abs. 4 KapMuG wird mit 5.708.173,80 EUR angegeben.

3. Der Streitwert wird insgesamt auf 5.708.173,80 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

5. Die Klägerin wird unterrichtet, dass die anteiligen Kosten der Musterverfahren zu den Kosten des Rechtsstreits gehören; dies gilt nicht, wenn die Klage innerhalb von einem Monat ab Zustellung des Aussetzungsbeschlusses im Ausgangsverfahren zurückgenommen wird (§ 8 Abs. 3 KapMuG).

 

Gründe

A. Die Klägerin verlangt als Käufer von Aktien der beklagten Holdinggesellschaft von dieser Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. V-Abgasskandal.

I. Die Klägerin ist ein Kommunalverwaltungsträger, der als unselbständiges Sondervermögen einen Pensionsfonds unterhält. Die beklagte P SE ist als Holdinggesellschaft mit rund 52 % der Stimmrechte und mehr als 30 % des Grundkapitals an dem Automobilhersteller V AG (im Folgenden: V AG) beteiligt; die Beteiligung an der V AG stellt ihr einziges substanzielles Investment dar (ca. 90 % der Bilanzsumme). Die Klägerin erwarb in den Jahren 2010 bis 2013 sowie im Jahr 2015 Vorzugsaktien der Beklagten. Sie nimmt die Beklagte wegen des Einbaus einer sog. Abschalteinrichtung in Dieselfahrzeugen der V AG, bekannt als Diesel- oder Abgasskandal, auf Schadensersatz in Anspruch, insbesondere wegen der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten. Sie macht insgesamt rund 5,7 Mio. EUR Schadensersatz geltend (19,95 EUR Schaden pro Vorzugsaktie bei 286.124 Vorzugsaktien). Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen und des Vorbringens der Parteien vor dem Landgericht wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils verwiesen.

II. Im Zusammenhang mit kapitalmarktrechtlichen und weiteren deliktischen Ansprüchen von Kapitalanlegern wegen des sog. V.-Abgasskandals sind gegen die Beklagte und/oder die V AG zwei materiell-rechtliche Musterverfahren nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz - KapMuG) anhängig:

Am 5.8.2016 hat das Landgericht Braunschweig in der Sache 5 OH 62/16 einen Vorlagebeschluss gemäß § 6 KapMuG erlassen. Wegen der dort formulierten Feststellungsziele, die ausschließlich materiell-rechtliche Fragen betreffen, wird auf den am 10.8.2016 im Klageregister des Bundesanzeigers bekanntgemachten Vorlageschluss verwiesen (darüber hinaus veröffentlicht u.a. in juris und in WM 2016, 2019). Das Musterverfahren wird beim Oberlandesgericht Braunschweig unter dem Aktenzeichen 3 Kap. 1/16 gegen die V AG und nach einer Erweiterung auch gegen die vorliegend beklagte P SE als Musterbeklagte geführt (deklaratorisch festgestellt durch Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 15.6.2018).

Am 28.2.2017 hat das Landgericht Stuttgart in der Sache 22 AR 1/17 Kap einen Vorlagebeschluss gegen die Beklagte als Holdinggesellschaft der V AG erlassen, der sich auf verschiedene materiell-rechtliche Feststellungsziele zu Fragestellungen der "unmittelbaren Betroffenheit" und "Wissenszurechnung" im Hinblick auf Vorgänge bei der V AG bezieht. Im Einzelnen wird auf den am 6.3.2017 im Klageregister des Bundesanzeigers bekanntgemachten Vorlagebeschluss verwiesen (darüber hinaus veröffentlicht in juris und in WM 2017, 1451).

Mit Beschluss vom 23.10.2018 hat das Oberlandesgericht Braunschweig in der Sache 3 Kap. 1/16 eine Erweiterung des Musterverfahrens um Feststellungsziele betreffend die hiesige Beklagte abgelehnt. Das Oberlandesgericht Braunschweig geht zwar davon aus, dass der Kernpunkt der gegen die V AG gerichteten Verfahren, nämlich das Geschehen bei der V AG im Zusammenhang mit der "Dieselthematik", insbesondere im Hinblick auf Insiderinformationen, zugleich der Kernpunkt der gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüche sei. Jedoch sei hieraus nicht der Schluss zu ziehen, dass sämtliche weiteren rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit einer Haftung der Beklagten, die ihren Ursprung in dem Kerngeschehen haben, den gleichen Lebenssachverhalt i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG betreffen. Im Übrigen wird auf den Beschluss vom 23.10.2018 verwiesen.

Nach einem Hinweisbeschluss vom 5.7.2018 und einer mündlichen Verhandlung vom 6.2.2019 hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom 27.3.2019 festgestellt, dass das Musterverfahren 20 Kap. 2/17, das auf dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Stuttgart 22 AR 1/17 Kap vom 28.2.2017 beruht, wegen der Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Braunschweig nach § 7 KapMuG unzulässig sei. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat dabei berücksichtigt, dass das Oberlandesgericht Braunschweig - wie soeben dargestellt - eine Erweiterung des dortigen Musterverfahrens um die Be...

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