Verfahrensgang

AG Stuttgart (Aktenzeichen 20 F 1830/02)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers/Beschwerdeführers gegen den Beschluss des AG Stuttgart – FamG vom 8.11.2002 wird Kostenpflichtig zurückgewiesen.

Geschäftswert: 5.000 Euro

 

Gründe

I. Das AG hat den Antrag des Antragstellers auf Rückgabe des Kindes A., geb. 29.8.1998, nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) durch Beschluss vom 8.11.2002 zurückgewiesen.

Seine Entscheidung hat das Gericht auf zwei Gesichtspunkte gestützt. Zum einen sei von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes sowohl in Frankreich wie auch in Deutschland auszugehen; auf einen solchen Fall finde das HKÜ keine Anwendung. Zum andern stehe einer Rückführung entgegen, dass das zuständige französische FamG durch Beschluss vom 25.9.2002 bestimmt hat, dass das Kind seinen Wohnsitz bei der in Deutschland wohnhaften Antragsgegnerin hat.

Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Auffassung des AG, das Kind A. habe zwei gewöhnliche Aufenthalte. Ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt sei im IPR ausgeschlossen, weil es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme. Die Rechtsprechung des Ausgangsgerichts führe dazu, dass für den Fall mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalte – sollte man dies zulassen – ein Schutz von Kindern nach dem HKÜ nicht stattfinde. Im Übrigen habe sich der gewöhnliche Aufenthalt von A. vor dem Zurückhalten im April 2002 in Frankreich befunden.

Die Entscheidung des französischen Gerichts stehe gem. Art. 17 HKÜ einer Rückgabe des Kindes nicht entgegen. Insbesondere die Gründe dieser Entscheidung würden eine Ablehnung der Rückführung nach Art. 13 HKÜ nicht rechtfertigen. Ziel des HKÜ sei es, zur Sicherung des Kindeswohls eine sofortige Rückgängigmachung der Entführung zu ermöglichen. Dies sei nur möglich bei einer Unabhängigkeit des HKÜ-Verfahrens von etwaigen Sorgerechtsverfahren (bis zu deren rechtskräftigen Abschluss). Mit einer Anordnung der Rückgabe des Kindes nach Frankreich – und Rückkehr der Mutter nach Frankreich – lägen neue Tatsachenelemente vor, die eine Abänderung der bisherigen Entscheidung (des französischen Gerichts) ermöglichen würden. Der Antrag auf Rückgabe des Kindes habe sich auch nicht durch den Umgang des Antragstellers mit A. erledigt, weil das Kind nicht bleibend zurückgeführt worden sei.

Die Antragsgegnerin verteidigt die angefochtene Entscheidung, insb. unter Verweis auf die weitere Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Grasse vom 3.12.202. In seinem Beschluss gestattet das LG Grasse den Ehegatten, getrennt zu leben, dem Antragsteller in N., Frankreich, der Antragsgegnerin in G., Deutschland. Des weiteren wird angeordnet, dass das Sorgerecht für das gemeinsame Kind A. gemeinsam durch die Eltern ausgeübt wird. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes wird am Wohnsitz der Mutter (Antragsgegnerin) festgelegt. Weiter werden in dem Beschluss der Umgang des Vaters mit dem Kind sowie unterhaltsrechtliche Fragen geregelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Der Senat hat die Eltern am 11.2.2003 in Anwesenheit des Kindes A. angehört.

II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist gem. § 8 Abs. 2 des Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetzes (SorgeRÜbkAG) statthaft und auch sonst zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Entgegen der Auffassung des AG ist der Senat zwar der Auffassung, dass das HKÜ im vorliegenden Fall anwendbar ist, weil das Kind A. vor seinem Zurückhalten in Deutschland im April 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte. Ob das Zurückhalten widerrechtlich war oder der Antragsteller einem Aufenthalt des Kindes in Deutschland zustimmte, kann aber dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls steht einer Rückgabeanordnung nach dem HKÜ die Entscheidung des LG Grasse vom 3.12.2002 über den Aufenthalt des Kindes bei der Antragsgegnerin mit Blick auf Art. 13 I b HKÜ entgegen.

1. Das HKÜ ist im vorliegenden Fall anwendbar, weil Frankreich und Deutschland Vertragsstaaten des HKÜ sind und A. vor seinem Zurückhalten in Deutschland im April 2002 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hatte. Der Senat teilt nicht die Auffassung des AG, dass wegen der wechselnden Aufenthalte der Eltern in Frankreich und Deutschland seit der Geburt des Kindes mit Blick auf den jeweiligen Gesamtumfang der Aufenthalte davon auszugehen ist, dass A. in beiden Ländern einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Senat schließt sich vielmehr der Auffassung an, dass bei alternierenden Aufenthalten der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes jeweils wechselt (vgl. Baetge, Zum gewöhnlichen Aufenthalt bei Kindesentführungen, IPRax 2001, 573 [576]; Siehr in MünchKomm, Art. 19 EGBGB Anhang II Rz. 28b). Diese Betrachtung trägt dem Schutzzweck des HKÜ Rechnung.

Nach h.A. ist der „gewöhnliche Aufenthalt” rein tatsächlich und nicht normativ zu bestimmen (vgl. BverfG FamRZ 1999, 85 [88]). Es ko...

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