Leitsatz (amtlich)

Weder der Grundsatz des fairen Verfahrens, noch das Prinzip der Waffengleichheit führen zur Annahme einer Selbstverteidigungsunfähigkeit i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO allein aufgrund des Umstandes, dass ein Mitangeklagter über einen Verteidiger verfügt. Vielmehr ist stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, die in Fällen tatsächlicher gegenseitiger Belastung von verteidigten und unverteidigten Mitangeklagten zur Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung führen kann, sofern die Kenntnis des Akteninhalts zur Verteidigung von entscheidender Bedeutung ist.

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Entscheidung vom 10.09.2012; Aktenzeichen 3 Ns 43 Js 19873/09 Jug.)

AG Reutlingen (Entscheidung vom 22.07.2010; Aktenzeichen 6 Ls 43 Js 19873/09)

StA Tübingen (Aktenzeichen 43 Js 19873/09)

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 3. Großen Jugendkammer des Landgerichts Tübingen vom 10. September 2012 wird als unbegründet

v e r w o r f e n .

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

 

Gründe

I.

Dem Beschwerdeführer und 14 weiteren Angeklagten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Tübingen vom vorgeworfen, sie hätten sich als Anhänger des Fußballvereins anlässlich eines Auswärtsspiels am in zu Lasten dreier Anhänger des Fußballvereins der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Diesbezüglich ist der Beschwerdeführer vom Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Reutlingen mit Urteil vom 22. Juli 2010 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte, ebenso wie die Staatsanwaltschaft zu seinen Lasten, Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2010 hat er beantragt ihm einen Verteidiger zu bestellen. Diesen Antrag hat der Vorsitzende der 3. Großen Jugendkammer des Landgerichts Tübingen mit Verfügung vom 10. September 2012 abgelehnt.

Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

1.

Die Beschwerde ist gem. § 304 Abs. 1 StPO zulässig und insbesondere nicht nach § 305 StPO unstatthaft, da hiernach nur solche Entscheidungen einer Beschwerdeanfechtung entzogen sind, die im inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen und bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung des Gerichtes unterliegen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, § 142 Rn. 19; OLG Celle, NStZ 2009, 56; OLG Stuttgart, NStZ-RR 1996, 207).

2.

Die Beschwerde des Angeklagten ist jedoch unbegründet.

a)

Ob hinsichtlich des Beschwerdeführers ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben ist, beurteilt sich vorliegend ausschließlich nach § 140 StPO. Soweit der Beschwerdeführer bereits in erster Instanz auf § 68 JGG verwiesen und vorgetragen hat, im Verfahren vor dem Jugendschöffengericht, respektive nunmehr der Jugendkammer, sei stets von einem Fall notwendiger Verteidigung auszugehen, verkennt er, dass diese Norm bei gem. § 103 JGG verbundenen Verfahren gegen Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene nur für die beiden erst genannten, nicht jedoch für die Erwachsenen Mitangeklagten gilt. Für diese beurteilt sich die Notwendigkeit der Verteidigung ausschließlich nach § 140 StPO (Eisenberg, JGG, 15. Auflage, § 68 Rn. 1 und 2).

b)

Ein Fall der notwendigen Verteidigung nach dem Katalog des § 140 Abs. 1 StPO ist vorliegend nicht gegeben. Insbesondere wird dem Angeklagten kein Verbrechen zur Last gelegt (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Nach teilweiser Ansicht (Meyer-Goßner, StPO, § 140 Rn. 12) ist von einer Zurlastlegung in diesem Sinne nur dann auszugehen, wenn der Beschuldigte wegen eines Verbrechens angeklagt ist, eine entsprechende Nachtragsanklage nach § 266 StPO erhoben wurde oder er in der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit einer Verbrechensverurteilung nach § 265 Abs. 1 StPO hingewiesen wird (KG Berlin StV 85, 184; Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rn. 12). Die Gegenansicht (OLG Bremen StV 1984, 13; Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Auflage, § 140 Rn. 9; Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 140 Rn. 24) geht demgegenüber davon aus, dass eine Zurlastlegung im Gesetzessinne bereits dann anzunehmen sei, wenn die nicht nur entfernte Möglichkeit besteht, dass die dem Gericht unterbreitete Tat als Verbrechen beurteilt werden wird. Welcher Ansicht zu folgen ist kann vorliegend deshalb dahinstehen, da die seitens des Angeklagten geführte Argumentation, ihm drohe auch eine Verfolgung wegen eines Verbrechens des Raubes nach § 249 StGB, da den Opfern in vorliegender Sache Teile ihrer Fanausrüstung weggenommen wurden, als fernliegend einzustufen ist. Es ist vielmehr in keiner Weise ersichtlich, dass sich die Angeklagten Fans von die seitens der Geschädigten mitgeführten Schals, Trikots und Fahnen des zueignen wollten.

c)

Ebenso ist die Mitwirkung eines Verteidigers auch nicht nach der Generalklausel des § 14...

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