Leitsatz (amtlich)

1. Nicht behebbare unabwendbare Schwierigkeiten oder unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse, wie etwa die krankheitsbedingte, zur Aussetzung der Hauptverhandlung zwingende Verhinderung unentbehrlicher Verfahrensbeteiligter stellen einen wichtigen Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO dar.

2. Ein solcher wichtiger Grund kann auch in der aktuell rapide fortschreitenden COVID-19-Pandemie bestehen, wenn sich das Gericht nicht in der Lage sieht, das Ansteckungsrisiko der Verfahrensbeteiligten, der Bediensteten des Gerichts, der Sicherheitsbeamten und des Publikums im Einklang mit den Vorschriften über das Verfahren, namentlich der zur Sicherung der Verteidigungsrechte und zur Gewährleistung der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung, auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.

3. Dem zur Entscheidung berufenen Spruchkörper steht bei der Einschätzung, ob und welche Maßnahmen zur Senkung des Ansteckungsrisikos geeignet und zumutbar sind, ein - vom Oberlandesgericht im Haftprüfungsverfahren nach § 121 ff. StPO nur eingeschränkt überprüfbarer- Beurteilungsspielraum zu. 1. -3. Anschluss an OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. März 2020 - HEs 1 Ws 84/20 -, juris 4. Dabei wird allerdings - auch unter Berücksichtigung der hohen Bedeutung des Rechts, von einem Verteidiger des Vertrauens verteidigt zu werden - ernsthaft zu prüfen sein, ob die Bestellung eines anderen Verteidigers erforderlich wird, wenn allein das besondere Gesundheitsrisiko des bisherigen Pflichtverteidigers einem dem Beschleunigungsgebot entsprechenden Fortgang des Verfahrens entgegenstehen sollte.

 

Normenkette

StPO §§ 121-122

 

Verfahrensgang

AG Heilbronn (Aktenzeichen 13 Ls 67 Js 31236/19)

 

Tenor

Die Untersuchungshaft des Angeklagten hat

fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte befindet sich nach vorläufiger Festnahme am 8. Oktober 2019 seit 9. Oktober 2019 aufgrund des an diesem Tag erlassenen und eröffneten Haftbefehls des Amtsgerichts H. in Untersuchungshaft.

Dem Angeklagten wird in dem wegen Fluchtgefahr erlassenen Haftbefehl vorgeworfen, ab der zweiten Septemberhälfte 2019 im Raum H. und Umgebung einen gewinnbringenden Handel mit Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 10 % THC, mit Haschisch mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 5 % THC sowie mit clonazepamhaltigen Tabletten (Rivotril) und buprenorphinhaltigen Tabletten (Subutex) getrieben zu haben, um sich auf diese Weise eine Einnahmequelle von einigem Umfang, einiger Dauer und zur Erzielung beträchtlicher Gewinne zu verschaffen. Dabei soll er diesem Zusammenhang am 28. oder 29. September 2019 während eines Besuchs beim Zeugen und Anzeigeerstatter M. eine Plastiktüte mit insgesamt 523,6 Gramm Marihuana in dessen Garage deponiert haben, um dieses Rauschgift bis zum gewinnbringenden Weiterverkauf dort zu lagern. Außerdem soll der Angeklagte dem M. eine weitere Tüte mit Marihuana, die ebenfalls rund 500 Gramm Marihuana enthielt, das der Angeklagte zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorrätig hielt, gezeigt haben (Tat 1). Weiter soll der Angeklagte am 8. Oktober 2020 gegen 12.08 Uhr in H. in einer Plastiktüte 910 clonazepamhaltigen Tabletten (Rivotril), 952 buprenorphinhaltige Tabletten mit dem Handelsnamen Subutex und in seiner Jackentasche zwei Haschischbrocken mit einem Gesamtgewicht von circa 157 Gramm mit sich geführt haben, um all dies gewinnbringend weiterzuverkaufen. Außerdem soll er 2540 verschreibungspflichtige Tabletten mit dem Wirkstoff Pregabalin sowie einen gefälschten französischen Reisepass mit sich geführt haben (Tat 2).

In der mittlerweile zum Amtsgericht - Schöffengericht - H. erhobenen Anklage wird ihm weiter vorgeworfen, dass er die Tabletten und das Haschisch in den Tagen zuvor in Frankreich erworben, übernommen und nach Deutschland verbracht habe. Außerdem soll er zusätzlich eine gefälschte französische Identitätskarte sowie einen gefälschten französischen Führerschein bei sich gehabt haben. Alle drei Dokumente lauten auf eine nichtexistierende Person. Der Angeklagte soll die Dokumente mit sich getragen haben, um im Zusammenhang mit seinen illegalen Arznei- und Betäubungsmittelgeschäften seine Identität zu verschleiern, etwa bei einem Grenzübertritt oder bei der Anmietung eines Fahrzeugs für Beschaffungsfahrten.

Das mit der Sache befasst Amtsgericht hat einen zunächst auf 20. März 2020 bestimmten Termin zur Hauptverhandlung auf Antrag des Pflichtverteidigers am 16. März 2020 wegen der COVID-19-Pandemie aufgehoben und neuen Termin zur Hauptverhandlung auf den 21. April 2020 bestimmt. Es hält die Haftfortdauer für erforderlich und hat am 16. März 2020 die Akten zur Haftprüfung gemäß § 122 StPO dem Oberlandesgericht vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

Haftfortdauer über sechs Monate hinaus anzuordnen.

II.

Die nach § 121 Abs. 2, § 122 StPO vorzunehm...

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