Leitsatz (amtlich)

Notwendige Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO liegt nicht allein deshalb vor, weil die zu verhängende geringe Strafe voraussichtlich in einem anderen Verfahren in eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr einzubeziehen sein wird.

 

Normenkette

StPO § 140 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Entscheidung vom 18.01.2012; Aktenzeichen 5 Ns 25 Js 11355/11)

AG Bad Saulgau (Aktenzeichen 2 Ds 25 Js 11355/11)

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 18. Januar 2012 wird als unbegründet

v e r w o r f e n .

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

 

Gründe

I. Das Amtsgericht B. verurteilte den Angeklagten am 09. August 2011 wegen Diebstahls zu der Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung. Die Berufung wurde vom Landgericht R. durch Urteil vom 21. Dezember 2011 als unbegründet verworfen. Bis dahin war der Angeklagte nicht verteidigt.

Am 22. Dezember 2011 meldete sich für den Angeklagten der Verteidiger. Er legte gegen das Urteil Rechtsmittel ein und beantragte zugleich seine Beiordnung. Zur Begründung führte er aus, der Angeklagte sei durch das Amtsgericht K. nicht rechtskräftig zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ohne Bewährung verurteilt worden, deshalb müsse voraussichtlich unter Einbeziehung der Verurteilung in der vorliegenden Sache eine Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr gebildet werden. Diesen Beiordnungsantrag lehnte der Vorsitzende der Kleinen Strafkammer mit Beschluss vom 18. Januar 2012 ab. Hiergegen wendet sich der Verteidiger mit seiner Beschwerde vom 24. Januar 2012.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig. Es wird vom Senat ungeachtet seines nicht ganz klaren Wortlauts dahin verstanden, dass der Angeklagte die Beschwerde führt. In der Sache erweist sich die Beschwerde als unbegründet, da ein Fall notwendiger Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO nicht vorliegt.

In dem Verfahren selbst liegen keine Umstände vor, die eine Verteidigung als notwendig erscheinen lassen. Die Schwere der angeklagten Tat begründet eine solche Notwendigkeit für sich genommen nicht. Maßgeblich für die Beurteilung ist vor allem die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung. Meist wird angenommen, dass die Erwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe die Grenze bildet, ab der regelmäßig Anlass zur Beiordnung besteht (Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 140 Rn. 23 m.w.N.). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von nur drei Monaten, die aus Rechtsgründen nicht verschlechtert werden kann. Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage, die die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen lassen, liegen nicht vor. Es geht um einen einfachen Ladendiebstahl, den der Angeklagte in vollem Umfang gestanden hat. Die Rechtsfolgenentscheidung zeigt ebenfalls keine besonderen Schwierigkeiten. Dies gilt gleichermaßen für die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, die der Verteidiger besonders angesprochen hat.

Auch der Umstand, dass aus der Strafe im vorliegenden Verfahren und aus der Strafe, die in dem inzwischen bei dem Landgericht Konstanz anhängigen Verfahren zu erwarten ist, voraussichtlich eine Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr zu bilden sein wird, rechtfertigt es nicht, wegen der Schwere der Tat einen Fall notwendiger Verteidigung im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO anzunehmen.

Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verhandlungsführung dar. Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass ein Beschuldigter, der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen und auf Staatskosten einen rechtskundigen Beistand (Verteidiger) erhält (BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1977, 2 BvR 462/77, juris Rn. 31; Meyer-Goßner aaO. § 140 Rn. 1 m.w.N.). Für die Bewertung, ob ein solcher schwerwiegender Fall vorliegt, kommt es deshalb zunächst auf das Gewicht der Rechtsfolgen an, die in dem betreffenden Verfahren, in dem sich der Beschuldigte verteidigen muss, zu erwarten sind, gegebenenfalls auf die zu erwartende Gesamtstrafe unter Einbeziehung vorangegangener Verurteilungen (für viele Meyer-Goßner, aaO. § 140 Rn. 23 m.w.N.). Darüber hinaus ist allerdings auch die Gesamtwirkung der Strafe zu berücksichtigen. Hierzu gehören sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu befürchten hat, wie etwa ein drohender Bewährungswiderruf (Meyer-Goßner, aaO. § 140 Rn. 25 m.w.N.). Nach verbreiteter Auffassung gehören hierzu auch weitere gegen den Angeklagten anhängige Strafverfahren, in denen es zu einer Gesamtstrafenbildung kommen kann (OLG Hamm, StV 2004, 586; Wessing in Graf, StPO, § 140 Rn. 15; Laufhütte in KK, StPO, 6. Auflage, § 140 Rn. 2...

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