Leitsatz (amtlich)

1. Zur Ausübung des Sorgerechts i. S.v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b HKÜ ist es nicht erforderlich, dass sich der Elternteil an der Betreuung des Kindes beteiligt, vielmehr reicht es aus, wenn er an den im Rahmen des Sorgerechts zu treffenden Entscheidungen mitwirkt. Eine solche Mitwirkungshandlung ist z. B. die Zustimmung zu der Verbringung des Kindes ins Ausland.

2. Ein Elternteil ist nicht berechtigt, sich ohne Zustimmung des anderen Elternteils mit dem gemeinsamen Kind ins Ausland zu begeben, um dort seine kranken Eltern zu pflegen. Das (Mit-)Sorgerecht des anderen Elternteils darf nicht zugunsten der eigenen Eltern missachtet werden.

3. Die normalen Unannehmlichkeiten der Trennung des Kindes vom Entführer reichen für die Annahme einer schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind i. S. v. Art. 13 Abs. 1 Buchst. b HKÜ nicht aus. Liegen keine Anhaltspunkte für hierüber hinaus gehende nachteilige Trennungsfolgen vor, so ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht angezeigt.

4. Wenn dadurch eine Trennung des Kindes von dem Entführer vermieden werden kann, so ist diesem die Möglichkeit einzuräumen, zwecks Rückgabe des Kindes gemeinsam mit diesem in den Entführungsstaat zurückzukehren. Dies setzt voraus, dass der andere Elternteil einen im Ausland gestellten Strafantrag zuvor zurücknimmt.

 

Verfahrensgang

AG Rostock (Beschluss vom 03.09.2002; Aktenzeichen 14 F 230/02)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin werden Ziff. 1 und 2 des Beschlusses des Amtsgerichts Rostock – Familiengericht – vom 03.09.2002, Az. 14 F 230/02, aufgehoben und wie folgt gefaßt:

1. Die Antragsgegnerin hat das Kind H. L., geb. am 02.12.1998, bis spätestens zum 16. Dezember 2002 dem Antragsteller an seinem Wohnsitz in der Schweiz zu übergeben. Nach Ablauf der Frist ist die Antragsgegnerin oder jede andere Person, bei der sich das Kind befindet, verpflichtet, das Kind an den Antragsteller oder eine von ihm benannte Person herauszugeben.

2. Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, nach Ablauf der unter Ziff. 1 genannten Frist der Antragsgegnerin das Kind wegzunehmen und es dem Antragsteller oder einer von ihm benannten Person an Ort und Stelle zu übergeben.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde werden der Antragsgegnerin auferlegt.

 

Tatbestand

I.

Der Antragsteller verlangt die Rückführung des von der Antragsgegnerin entführten Kindes in die Schweiz.

Die am 02.12.1998 geborene H. L. ist das eheliche Kind der Parteien. Die Eheleute lebten bis Mitte Dezember 2001 gemeinsam mit dem Kind in G./Schweiz. Mitte Dezember 2001 fuhr die Antragsgegnerin im Einverständnis mit dem Antragsteller mit dem Kind nach M., um dort ihre erkrankten Eltern zu pflegen. Auf Nachfrage des Antragstellers erklärte sie am 07. April 2002, daß sie mit dem Kind nicht mehr in die Schweiz zurückkehren werde und die Scheidung wünsche. Nachdem die Antragsgegnerin die mit Schreiben vom 17. Juli 2002 ergangene Aufforderung zur freiwilligen Rückführung des Kindes nicht befolgt hatte, stellte der Antragsteller über die Zentrale Behörde den Rückführungsantrag nach Art. 12 HKÜ.

Die Antragsgegnerin berief sich demgegenüber auf das behauptete Einverständnis des Antragstellers. Sie habe ihm im Februar 2002 dargelegt, daß nunmehr der Zeitpunkt gekommen sei, den Wohnsitz endgültig in Deutschland zu nehmen. In einem persönlichen Schreiben vom 19.02.2002 habe der Antragsteller ihr mitgeteilt, daß er in Erwägung ziehe, seinen Wohn- und Arbeitsort ggf. nach Mecklenburg-Vorpommern zu verlegen. Mit Schreiben vom 06.06.2002 habe er ihr überdies mitgeteilt, ihre und des Kindes persönlichen Sachen übersenden zu wollen. Auch habe er sie aufgefordert, eine eigenständige Krankenversicherung abzuschließen. Am 30.04.2002 hatte der Antragsteller sich in einer eidesstattlichen Versicherung verpflichtet, das Kind nicht ohne Zustimmung der Mutter in die Schweiz zu verbringen. Darüber hinaus sei die Rückführung des Kindes mit der Gefahr schwerer körperlicher oder seelischer Schäden für das Kind verbunden. Der Antragsteller habe mehrfach Suizidgedanken geäußert. Er sei beruflich ehrgeizig und stelle regelmäßig an die Tochter Anforderungen, die nicht altersadäquat seien. Das Kind habe sich in Deutschland weitaus intensiver integriert als vorher in der Schweiz; es bestehe eine sehr enge Bindung zu den Großeltern und eine sehr enge Bindung zwischen Mutter und Kind. Das Kind aus dieser Beziehung herauszureißen, würde zu nicht wiedergutzumachenden Schäden für das Kind führen.

Im Bericht des Jugendamts wird ausgeführt, daß eine Rückführung des Kindes in die Schweiz eine außergewöhnliche Belastungssituation darstellen würde, die sich negativ auf die weitere Entwicklung des Mädchens auswirken könne.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Familiengericht dem Rückführungsantrag stattgegeben. Ein Ausnahmetatbestand nach Art. 13 HKÜ sei nicht gegeben. Die Antragsgegnerin habe nicht nachgewiesen, daß der Antragsteller sein So...

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