Leitsatz (amtlich)

1. Die Embolisation einer Niere zum Zwecke der Blutstillung war im Jahre 2006 eine Neulandmethode. Der Patient ist über diesen Umstand explizit aufzuklären.

2. Will die Behandlerseite dem konkreten Aufklärungsmangel den Einwand der hypothetischen Einwilligung entgegenhalten, muss dies substantiiert mit Blick auf den konkreten Aufklärungsmangel (hier: Neulandmethode) erfolgen.

3. Holt das Berufungsgericht ein Obergutachten (§ 412 ZPO) ein, muss dem Antrag einer Partei, den erstinstanzlich bestellten Sachverständigen gemäß §§ 402, 397 ZPO zu laden nicht entsprochen werden, wenn das Berufungsgericht die Erkenntnisse des erstinstanzlichen Sachverständigen nicht verwerten, sondern sich ausschließlich auf das Obergutachten zweiter Instanz stützen will.

 

Normenkette

BGB § 630a; ZPO §§ 397, 402, 412

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Aktenzeichen 8 O 3507/17)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 08.06.2018 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wie folgt abgeändert:

1. Die Klageanträge zu a) und b) sind dem Grunde nach gerechtfertigt. Insoweit wird die Sache zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe an das Landgericht Oldenburg zurückverwiesen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden - letztere soweit sie nach dem 30.11.2010 entstanden sind oder entstehen - die in Zukunft aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung der Beklagten, die im MM. 2006 stattfand, entstehen, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten, in dem auch über die Kosten der Berufung zu befinden ist.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

6. Der Streitwert wird auf 430.000,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Ersatz materieller und immaterieller Schäden sowie die Feststellung künftiger Ersatzpflichten wegen einer behauptet fehlerhaft und rechtswidrig durchgeführten Embolisation einer blutenden Niere.

Die im Jahre (...) geborene Klägerin stellte sich bei bekannten Zystennieren beidseits und dialysepflichtiger Niereninsuffizienz am TT.MM.2006 wegen anhaltender Makrohämaturie (sichtbare Mengen Blut im Urin) im Hause der Beklagten vor. Bei einer Zystoskopie (Blasenspiegelung) wurde eine Blutung aus der linken Niere festgestellt.

Ein MRT zeigte am TT.MM.2006 beidseits Einblutungen in den Nieren sowie eine Raumforderung in der linken Niere, die am ehesten als Angiomyolipom (gutartiger Tumor mit hohem Fettgewebeanteil) gedeutet wurde.

Bei einer ambulanten Kontrolle im Hause der Beklagten (...) durch den Chefarzt der Klinik für Urologie, den Zeugen Prof. Dr. DD, bestanden wieder zunehmende Beschwerden. Dieser sowie der damalige Chefarzt der Radiologie, der Zeuge Prof. Dr. EE, sprachen mit der Klägerin über die Möglichkeit einer Embolisation, d. h. den Verschluss von Blutgefäßen mit Mikropartikeln, eingebracht über einen Katheter. Das von Prof. Dr. EE geführte Aufklärungsgespräch über einen solchen Eingriff ist unter dem TT.MM.2006 dokumentiert.

Nach weiter deutlich abgesunkenem Hämoglobinwert nahm Prof. Dr. EE am TT.MM.2006 die Embolisation der linken Niere vor. Verwendet wurden ca. 150mg Embocept (abbaubare Stärke-Mikrosphären). Eine Lokalisation der Blutung war zuvor nicht erfolgt. Während des Eingriffs äußerte die Klägerin Schmerzen. Im Anschluss traten bei ihr Lähmungserscheinungen in den unteren Extremitäten auf.

Bei fehlender Besserung nach Bettruhe wurde noch am selben Abend eine Kernspintomographie in der Neurologischen Klinik des FF Krankenhauses Ort1 veranlasst, die einen Conusinfarkt (Durchblutungsstörung im unteren Ende des Rückenmarks) ergab. Es lag eine inkomplette Querschnittssymptomatik vor. Eine Behandlung mit Cortison und Heparin im Hause der Beklagten schloss sich an. Bei anhaltender Makrohämaturie wurde die Klägerin transfusionspflichtig, der Hämoglobinwert sank auch nach Transfusionen weiter. Eine Zystoskopie am TT.MM.2006 zeigte eine Blutung aus dem rechten Ostium. Die rechte Niere wurde operativ entfernt.

Der neurologische Status der Klägerin besserte sich. Am TT.MM.2007 wurde sie in das Querschnittgelähmten-Zentrum des GG-Krankenhauses Ort2 verlegt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, Fehler der Beklagtenseite rechtfertigten ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000,00 Euro (Antrag zu 1.), den Ersatz materieller Schäden in Gestalt eines Verdienstausfalls i.H.v. 30.000,00 Euro für den Zeitraum von Mai 2008 bis November 2010 (30 Monate zu je 1.000,00 Euro, Antrag zu 2.) sowie die Feststellung der Einstandspflicht im Übrigen (Antrag zu 3.).

Zur Begründung hat sie behauptet, die Behandler im Hause der Beklagten hätten es grob fehlerhaft unterlassen, vor der Embolisation der linken Niere die Blutungsquelle - etwa durch eine erneute Blasenspiegelung - zu eruieren. Tatsäc...

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