Leitsatz (amtlich)

Ist einzig verbliebene Folge eines groben Diagnose- und Befunderhebungsfehlers (hier: unzureichende Untersuchung einer Gewebeprobe) eine Verzögerung der Behandlung, nimmt ein später auftretender Sekundärschaden (Mammakarzinom als Rezidiv) nur dann an der Beweislastumkehr teil, wenn die entsprechende Verzögerung typischerweise geeignet ist, diesen Sekundärschaden hervorzurufen.

 

Normenkette

BGB § 823; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Urteil vom 20.02.2015; Aktenzeichen 2 O 389/13)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 20.02.2015 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG O. (2 O 389/13) wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die im Jahr 1949 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld dafür, dass sich bei ihr im Jahr 2012 ein Rezidiv eines Mammakarzinoms bildete. Sie führt dies auf eine verzögerte Behandlung im Jahr 2003 zurück.

Am 24.06.2003 wurde im Haus der Beklagten ein suspekter Kalkherd aus der linken Brust der Klägerin entfernt.

Bei einer Nachuntersuchung am 23.12.2003 zeigte sich in der linken Brust ein invasiv duktales Mammakarzinom, das der Klägerin während ihres Krankenhausaufenthalts vom 04.01.-10.01.2004 gemeinsam mit 20 Lymphknoten entfernt wurde. Es schloss sich eine Strahlen- und Hormontherapie an.

Daraufhin machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Schmerzensgeldansprüche geltend und begehrte die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden. Das LG O. sprach ihr am 23.01.2008 ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 EUR zu und wies die Klage im Übrigen ab (2 O 2950/06). Dieses Urteil änderte der erkennende Senat mit Urteil vom 09.07.2008 ab und sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 EUR zu. Zudem wurde festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und weiteren immateriellen Schaden aus der Operation vom 24.06.2003 zu erstatten. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Diese Entscheidung ist rechtskräftig.

Der Senat stützte die Entscheidung darauf, dass zwei grobe Behandlungsfehler erfolgt seien: Zum einen stelle es einen groben Diagnosefehler dar, dass die während der Operation am 24.06.2003 entnommenen Gewebeteile grob fehlerhaft ausgewertet worden seien. Es seien nur randbildende Mikrokalkanteile untersucht worden, die nicht repräsentativ gewesen seien. Zum anderen sei es ein grober Befunderhebungsfehler, dass ein mediales Nachresektat keiner radiologischen Untersuchung mehr unterzogen worden sei. Am 24.06.2003 hätte bereits ein Karzinom in situ vorgelegen, welches sich zu dem invasiv duktalen Karzinom weiterentwickelt habe. Die gebotene sofortige Entfernung des Karzinoms in situ hätte der Klägerin die Zweitoperation erspart.

Im Jahr 2012 wurde bei der Klägerin erneut ein Mammakarzinom diagnostiziert, weshalb ihr am 28.08.2012 beide Brüste amputiert wurden. Anschließend fand eine Chemotherapie statt.

Die Klägerin hat behauptet, dass es sich bei dem Karzinom um ein Rezidiv gehandelt habe, das durch die unvollständige Entfernung des Kalkherds am 24.06.2003 verursacht worden sei. Dies habe dazu geführt, dass die Entfernung beider Brüste notwendig geworden sei. Zudem habe sie unter gravierenden Nebenwirkungen der Chemotherapie gelitten.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.10.2012 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihr vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.880,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.03.2013 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat die 2. Zivilkammer des LG O. die Klage abgewiesen. Das 2012 diagnostizierte Rezidiv stelle zwar ein Wiederauftreten der Erkrankung aus dem Jahr 2003 dar, die Klägerin habe jedoch nicht bewiesen, dass dieses Rezidiv Folge des im Januar 2004 entfernten invasiv duktalen Karzinoms gewesen sei. Es könne auch durch das am 24.06.2003 bereits vorliegende Karzinom in situ verursacht worden sein, dessen unterlassene Entfernung dann nicht kausal für das Rezidiv geworden wäre. Eine Beweislastumkehr komme nicht in Betracht, da das Rezidiv ein Sekundärschaden sei. Dieser stelle zwar die typische Folge eines invasiv duktalen Karzinoms dar, sei aber eben auch für ein Karzinom in situ typisch. Gestützt hat das LG diese Ausführungen auf die Gutachten des Sachverständigen Professor N. vom 28.11.2013 und 17.06.2014 sowie auf dessen Angaben ...

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