Leitsatz (amtlich)

Zur Schmerzensgeldhöhe bei Sterilisation einer Patientin anlässlich einer Kaiserschnitt-Operation ohne deren Einwilligung.

 

Verfahrensgang

LG Aurich (Urteil vom 03.02.2006; Aktenzeichen 4 O 731/05)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG A. vom 3.2.2006 abgeändert:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von weiteren 10.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 % für die Zeit vom 1.6.2005 bis 2.11.2005 sowie nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.11.2005 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche immaterielle Schäden zu ersetzen, soweit sie nach Rechtshängigkeit entstehen und nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Beklagten wird verworfen, soweit dieser mit dem Rechtsmittel eine Abweisung der Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags der Klägerin begehrt. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 60 %, der Beklagte zu 40 % zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

A. Die Klägerin, seinerzeit Mutter einer Tochter, hielt sich in der Zeit vom 5.5.-13.5.1996 zur stationären Behandlung im Kreiskrankenhaus A. auf, dessen Träger der Beklagte ist. Dort wurde sie mittels Kaiserschnitt am 5.5.1996 von einem Mädchen entbunden. Bei der Eröffnung des Peritonealraumes fanden die behandelnden Ärzte eine ältere Uterusruptur vor. Im Hinblick auf die mit einer erneuten Schwangerschaft verbundene erhebliche Gefahr einer Wiederholung der Ruptur entschlossen sie sich zu einer Fimbrienektomie beidseits, ohne mit der Klägerin Rücksprache gehalten zu haben. Diese erhielt erst im November 2002 Kenntnis von der Sterilisation. Nach Verhandlungen mit dem Beklagten kamen die Parteien überein, dass der Beklagte die Kosten für eine künstliche Befruchtung übernimmt. Absprachegemäß wurden vier Zyklen durchgeführt, die jedoch ohne Erfolg blieben. Darüber hinaus zahlte der Beklagte an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 35.000 EUR.

Mit der Klage hat die Klägerin von dem Beklagten die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe einer Größenordnung von 30.000 EUR verlangt und begehrt, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche immateriellen Schäden zu ersetzen, die nach Rechtshängigkeit entstehen und die nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen dargetan, die behandelnden Ärzte hätten sie ohne Einwilligung sterilisiert und sie darüber mehrere Jahre im Unklaren gelassen. Für eine Türkin yezidischen Glaubens seien 4-6 Kinder als Minimum anzusehen. Zudem werde in ihrem Kulturkreis auf männliche Nachkommen besonderer Wert gelegt. Demgemäß hätten sie und ihr Ehemann die Sterilisation vor ihren Eltern und Geschwistern geheim gehalten. Es sei nicht auszuschließen, dass sich langfristig erhebliche psychische Schäden bei ihr einstellten. Der Beklagte hält das von der Klägerin verlangte Schmerzensgeld für übersetzt. Die Klägerin habe bereits zwei Kinder geboren; maßgeblich für die Beurteilung der Ansprüche seien die in Deutschland als normal geltenden Bedingungen.

Die 4. Zivilkammer des LG A. hat der Feststellungsklage mit Urteil vom 3.2.2006 stattgegeben und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld von 30.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 32 ff. d.A.) Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Dieser meint, die angefochtene Entscheidung lasse eine transparente, rational nachvollziehbare Begründung vermissen. Das LG habe sich zudem zu wenig mit vergleichbaren Entscheidungen auseinandergesetzt. Das LG habe weiter versäumt, deutlich zu machen, dass es bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auf die persönlichen, individuellen Verhältnisse ankomme. Wäre ein entsprechender Hinweis erfolgt, hätte er bereits in erster Instanz in Abrede genommen, dass sich die von der Klägerin geltend gemachte Betrachtungsweise ihres Kulturkreises konkret und messbar ausgewirkt habe. Im Übrigen sei die Sterilisation, bei der die Eierstöcke und der Eileiter in ihrer hormonellen Funktion unangetastet geblieben seien, mit Rücksicht auf das Risiko einer erneuten stillen, unentdeckten und sehr gefährlichen Perforation des Uter...

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