Leitsatz (amtlich)

1. Voraussetzungen eines „triftigen Grundes” für Nichtanwendbarkeit von § 211 Abs. 2 BGB.

2. Hemmung der Verjährung beim Werkvertrag auch, wenn AG im Einvernehmen mit An einen Dritten in Anspruch zu nehmen versucht.

 

Normenkette

BGB § 202 Abs. 1, § 242; VOB/B § 13 Nrn. 4-5

 

Gründe

1. Auch die Auffassung der Berufung, § 211 Abs. 2 BGB sei nur anwendbar, wenn die Parteien ohne triftigen Grund untätig blieben, ist so allgemein nicht zu folgen. Zwar ist in den Entscheidungen BGH NJW 1979, 810, 811 und BGH NJW 1987, 371, 372 etwas Derartiges ausgeführt. Der BGH hat jedoch bereits in der Entscheidung NJW 1983, 2496, 2497 darauf hingewiesen, daß die erstgenannte Entscheidung einen nicht vergleichbaren Sachverhalt betraf, in dem die Verfahrensgestaltung bei dem Gericht verblieben war und das in diesem Sinne „nicht grundlose” Nichtbetreiben durch die Parteien eine Anwendung des § 211 Abs. 2 BGB nicht erlaubte. Ähnlich verhält es sich mit der Entscheidung BGH NJW 1987, 371, 372: Dort hat der BGH aufgrund einer – falschen – Rechtsauffassung einer Vorinstanz einen Vertrauenstatbestand angenommen, der für die Klägerin einen triftigen Grund darstellte, von der Weiterverfolgung ihrer Schadensersatzansprüche in einem Vorprozeß abzusehen. Auch dabei handelt es sich um einen Sonderfall, der von einem Fall wie dem vorliegenden dadurch abweicht, daß die Verantwortung für das Betreiben des Prozesses nicht vom Gericht auf den Kläger übergegangen war.

2. Eine Verjährung ist jedoch deswegen nicht eingetreten, weil der Ablauf der zweijährigen Verjährungsfrist gemäß § 13 Nr. 4 VOB/B durch die im Laufe des ersten Rechtszuges einvernehmlich geführten Verhandlungen gehemmt war. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die letzte Prozeßhandlung im Sinn des § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB spätestens am 20.06.1988 durch die Verfügung des Vorsitzenden stattgefunden hat, durch die der auf den 23.09.1988 anberaumte Termin aufgehoben worden ist. Damit hätte die zweijährige Verjährungsfrist an sich im Juni 1990 geendet. Gleichwohl ist zum maßgeblichen Zeitpunkt keine Verjährung eingetreten, weil die Verjährungsfrist durch die bis Oktober 1990 andauernden Verhandlungen gehemmt war (§ 202 BGB). Wenn und solange im Einverständnis zwischen Schädiger und Geschädigtem der Versuch gemacht wird, durch Inanspruchnahme eines Dritten die eingetretenen Schäden zu verhindern, muß im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem als beiderseits gewollt auch angesehen werden, daß der Geschädigte während dieser Zeit den Schädiger auf Schadensersatz nicht in Anspruch nehmen wolle und solle (pactum de non petendo). Es tritt insoweit eine Hemmung der Verjährung gemäß § 202 Abs. 1 BGB ein (BGH LM Nr. 5 zu § 202 BGB). So liegt der Fall hier. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann es dabei von der Interessenlage her keinen Unterschied machen, ob die Verhandlungen durch einen zum Schadensersatz berechtigten Kläger geführt werden oder vom ersatzpflichtigen Beklagten, solange die Verhandlungen in Einverständnis zwischen beiden geführten werden. Das war hier der Fall; denn unstreitig hat der Prozeßbevollmächtigte des klagenden Landes Schreiben an die Versicherer der Statiker inhaltlich mit Bevollmächtigten der Beklagten abgestimmt, und die Beklagten haben dem klagenden Land eingehende fachliche Informationen erteilt. Den Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, daß die Verhandlungen ausschließlich im Interesse des klagenden Landes geführt worden seien. Wie die Beweisaufnahme ergeben hat, haben die Beklagten die Statik für den Zusatzauftrag geliefert, so daß sie – entsprechend den o.a. Ausführungen – dem Grunde nach (mit)haften.

Zudem war das klagende Land bereit, den Anspruch gegen die Beklagten nicht weiterzuverfolgen, wenn es im Wege der Verhandlungen von der Allianz-Versicherungs-AG einen Betrag von 300.000,– DM und von dem Versicherer des Statikers Oltmanns einen solchen von 100.000,– DM erlangen sollte. Unter diesen Umständen bestand für die Beklagten ein erhebliches Interesse an den einvernehmlich geführten Verhandlungen mit den Haftpflichtversicherern der Statiker. Angesichts dieser gleichgerichteten Interessenlage muß es hier als beiderseits gewollt angesehen werden, daß das klagende Land die Beklagten während der Dauer der Verhandlungen mit den Haftpflichtversicherern der Statiker nicht in Anspruch nehmen wolle und solle (pactum de non petendo).

3. Daneben stellt sich nach Auffassung des Senats das Berufen der Beklagten auf die Einrede der Verjährung als rechtsmißbräuchlich dar (§ 242 BGB). Durch ihre Beteiligung an den – auch in ihrem Interesse – geführten Verhandlungen mit den Haftpflichtversicherern der Statiker haben die Beklagten dem klagenden Land durchaus Veranlassung zu der Annahme gegeben, sie würden die Dauer der Verhandlungen nicht zum Anlaß nehmen, sich später auf Verjährung zu berufen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1383917

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