Leitsatz (amtlich)

1. Auch bei einem Patienten, der nach Selbstverletzung in fraglicher suizidaler Absicht und möglicher psychotischer Störung in die geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses eingewiesen wird, ist bei einem Toilettengang nicht stets eine Begleitung oder Videoüberwachung erforderlich.

2. Zur nachträglichen Ernennung eines Sachverständigen nach § 360 S. 2 ZPO.

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Aktenzeichen 2 O 3012/07)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers und Berufungsklägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einer Behandlung im Krankenhaus der Beklagten zu 1) im Jahr 2004 geltend.

Am 2.6.2004 wurde der Kläger unter seinem damaligen Aliasnamen "E. A." durch den Landkreis Osnabrück gem. § 18 NPsychKG vorläufig in die geschlossene Abteilung des Krankenhauses der Beklagten zu 1) eingewiesen, nachdem er sich als Beifahrer in einem Lkw mit einem Messer Schnittverletzungen im Arm- und Bauchbereich zufügte. Der Beklagte zu 2) ist der Leitende Arzt der Fachabteilung für Neurologie und Psychiatrie und der Beklagte zu 3) ist Oberarzt der Abteilung. Da der Kläger der deutschen Sprache nicht mächtig ist, erfolgte das Aufnahmegespräch durch die russisch sprechende diensthabende Stationsärztin Frau K. Eine Benachrichtigung der Mutter des Klägers, mit der er in einer Asylbewerbersammelstelle in B. lebte, erfolgte nicht, da der Kläger dies gegenüber Frau K. ausdrücklich ablehnte. Der Kläger wurde zur weiteren Abklärung und Beobachtung in ein Intensivzimmer auf der geschlossen geführten Station aufgenommen. Ferner erhielt er ein niedrigpotentes Neuroleptikum (Promethazin), welches er ab dem Abend des 3.6.2004 auch einnahm. An den darauf folgenden Tagen verhielt sich der Kläger ruhig und unauffällig. Am 5.6.2004 gegen 17:00h begab sich der Kläger, nachdem er zuvor den ganzen Tag im Bett gelegen und überwiegend geschlafen hatte, zu der an sein Intensivzimmer angrenzenden, nicht einsehbaren oder videoüberwachten Toilette. Dort zerstörte er mit seinen bloßen Händen beide Augäpfel. Die Verletzung ist irreversibel, bei einer Operation im Augenzentrum der Uniklinik Münster wurden die Reste beider Augen operativ entfernt.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagten hätten schuldhaft ihre Pflicht verletzt, alle Gefahren abzuwenden, die dem Kläger infolge seiner psychischen Erkrankung in Form einer schizophrenen Psychose durch sich selbst drohten. Die erneute Selbstverletzung beruhe auf einer fehlerhaften Überwachung des Klägers durch die Mitarbeiter der Beklagten zu 1). Auch die verordnete Medikation und die nicht erfolgte Benachrichtigung seiner Angehörigen stellten einen Behandlungsfehler dar. Der Kläger hat nach der teilweisen Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das LG ein Schmerzensgeld von 175.000 EUR, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 200 EUR sowie einen Haushaltsführungsschaden für die Zeit vom 9.6.2004 bis Anfang Dezember 2007 i.H.v. insgesamt 14.720 EUR geltend gemacht.

Die Beklagten sind der Ansicht, die Behandlung des Klägers habe in jeder Hinsicht dem fachmedizinischen Standard entsprochen und die Selbstverletzung des Klägers sei nicht zu vermeiden gewesen, da sie auf einen unvorhersehbaren Impuls zurückzuführen sei.

Die 2. Zivilkammer des LG Osnabrück hat zu der Frage, ob die Behandlung des Klägers dem fachmedizinischen Standard entsprochen hat, ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt. Mit Beschluss vom 13.8.2008 wurde zunächst der Sachverständige Dr. med. P. W. N., Chefarzt des St. Marien-Hospitals E., zum Sachverständigen bestimmt. Nachdem dieser mitgeteilt hatte, er wolle seine Mitarbeiterin K. mit der Erstellung des Gutachtens beauftragen, hat das LG unter Abänderung des ursprünglichen Beschlusses diese zur Sachverständigen bestellt und den Sachverständige Dr. N. entpflichtet. Die Sachverständige K. hat unter dem 20.4.2009 ein Gutachten erstellt. Auf der letzten Seite findet sich unter ihrer Unterschrift auch diejenige von Dr. N. mit dem Vermerk "Einverstanden aufgrund eigener Urteilsbildung". Der Kläger ist der Auffassung, hieraus ergebe sich, dass die Sachverständige K. das Gutachten nicht eigenverantwortlich erstellt habe. Da somit ein Verstoß gegen § 407a Abs. 2 ZPO vorliege, hat er die Einholung eines neuen Gutachtens gem. § 412 ZPO beantragt. Hilfsweise hat der Kläger verschiedene Ergänzungsfragen an die Sachverständige K. gestellt. Mit Beschluss vom 19.3.2010 hat das LG die Sachverständige K. zur ergänzenden Stellungnahme aufgefordert. An deren Stelle hat am 16.7.2010 Dr. N. ein Ergänzungsgutachten erstattet und darauf hingewiesen, seine Mitarbeiterin K. befinde sich nunmehr im Mutterschutz. Mit Übersendung des Gutachtens an die Parteivertreter hat das LG darauf hingewiesen, dass eine Umbestellung des Sachverständigen beabsichtigt ist und den Parteivertretern insoweit rechtliches G...

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