Leitsatz (amtlich)

Die Bestellung eines Verteidigers im Strafbefehlsverfahren gemäß § 408b StPO wirkt über die Einlegung des Einspruchs hinaus jedenfalls bis zur Einlegung des Rechtsmittels gegen das auf den Einspruch hin ergangene amtsgerichtliche Urteil fort.

 

Normenkette

StPO §§ 408b, 411 Abs. 2 S. 2, § 420 Abs. 4

 

Verfahrensgang

AG Emden (Entscheidung vom 03.11.2016; Aktenzeichen 6 Cs 150/16)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Emden vom 3. November 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Emden zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

 

Gründe

Das Amtsgericht Emden hat den Angeklagten mit Urteil vom 3. November 2016 wegen "unbefugter Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs" zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

Hiergegen richtet sich die (Sprung-) Revision des Angeklagten. Er erstrebt mit der Sachrüge und einer Verfahrensrüge (Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 408b Satz 1 StPO) die Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt.

Das Rechtsmittel hat mit der in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhobenen Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO Erfolg, so dass es auf die Sachrüge nicht mehr ankommt.

1. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zu Grunde:

Das Amtsgericht Emden hatte gegen den Angeklagten am 18. Juli 2016 wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs einen Strafbefehl erlassen, durch den gegen ihn eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt worden war. Zuvor hatte es ihm durch Beschluss vom 19. Mai 2016 "gemäß § 408b Strafprozessordnung für das Strafbefehlsverfahren" Rechtsanwalt ... zum Verteidiger bestellt.

Nachdem der Angeklagte gegen den Strafbefehl durch Rechtsanwalt ... rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte, beraumte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 3. November 2016 an. Als der mit Beschluss vom 19. Mai 2016 bestellte Verteidiger, der zu dem Termin nicht geladen worden war, mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2016 Akteneinsicht beantragte, teilte ihm das Amtsgericht mit, dass seiner Auffassung nach die Bestellung zum Pflichtverteidiger nach § 408b StPO nur bis zur Einspruchseinlegung, nicht aber für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung gelte. Ein Fall notwendiger Beiordnung nach § 140 StPO liege nach Auffassung des Gerichts ebenfalls nicht vor. Das Wahlmandat sei für den - vorliegend eingetretenen - Fall der Bestellung als Pflichtverteidiger nach § 408b StPO ausdrücklich niedergelegt worden.

Der gegen diese Feststellung gerichteten, mit einem Terminsaufhebungsantrag verbundenen Beschwerde des Angeklagten half das Amtsgericht Emden mit Beschluss vom 2. November 2016 nicht ab; eine Vorlage an das Beschwerdegericht erfolgte in der Folgezeit indessen nicht.

In der Hauptverhandlung am 3. November 2016 war der Angeklagte weder durch einen Wahl- noch durch einen Pflichtverteidiger vertreten.

2. Bei dieser Sachlage rügt der Angeklagte zu Recht einen Verstoß gegen § 338 Nr. 5 i.V.m. § 408b Satz 1 StPO.

a. Der Senat hat die Frage, ob die nach § 408b Satz 1 StPO erfolgte Beiordnung nur bis zur Einlegung eines Einspruchs gilt oder darüber hinaus fortwirkt, bislang offengelassen, weil es in den zu entscheidenden Verfahren auf die Frage einer Fortwirkung der erfolgten Bestellung nicht ankam. So lag der zuletzt im Zusammenhang mit § 408b StPO ergangenen Entscheidung vom 8. Oktober 2015 (1 Ws 474/15, n.v.) ein Verfahren zu Grunde, in dem durch die Ladung des zunächst gemäß § 408b Satz 1 StPO bestellten Verteidigers zu der auf seinen Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung seine konkludente Beiordnung - gemäß § 140 StPO - erfolgt war (vgl. den gleichgelagerten Sachverhalt bei OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13, StraFo 2015, 36). Eine derartige Konstellation ist vorliegend indessen nicht gegeben. Vielmehr hat das Amtsgericht die Fortwirkung der Beiordnung - auch gemäß § 140 StPO - ausdrücklich verneint. Damit kommt es auf die Reichweite der einmal erfolgten Beiordnung nach § 408b Satz 1 StPO an.

b. Der Senat schließt sich insoweit der zunächst durch das Oberlandesgericht Köln (Beschluss v. 11.09.2009, 2 Ws 386/09, NStZ-RR 2010, 30), diesem folgend auch durch das Oberlandesgericht Celle (Beschluss v. 22.02.2011, 2 Ws 415/10, StraFo 2011, 291) und der überwiegenden Kommentarliteratur (vgl. LR-Gössel, StPO, 26. Aufl., § 408b Rz 12, 13; KK-Maur, StPO, 7. Aufl., § 408b Rz. 8; HK-Kurth/Brauer, StPO, 5. Aufl., § 408b Rz. 6; a.A. aber Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl, § 408b Rz. 6; BeckOK StPO/Temming § 408b Rz. 5) vertretenen Auffassung an, wonach die Beiordnung nach § 408b StPO auch für die auf den Einspruch folgende Hauptverhandlung gilt.

Wie der Senat bereits in seiner die Kostenfestsetzung betreffenden Beschwerdeentscheidung vom 29. Juli 2010 (1 Ws 344/10, NStZ-RR 2010, 391) - ohne allerdings die Streitfrage abschließend zu entscheid...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge