Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Überprüfung der Entscheidung, mit der ein Terminsverlegungsantrag abgelehnt worden ist

 

Verfahrensgang

LG Aurich (Entscheidung vom 15.09.2010; Aktenzeichen 210 Js 23107/09)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Beschwerde des Angeklagten wird die Verfügung des Vorsitzenden der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Aurich vom 15.09.2010 aufgehoben.

  • 2.

    Der mit Verfügung des Vorsitzenden vom 30.08.2010 anberaumte Hauptverhandlungstermin vom 20.10.2010 wird aufgehoben.

  • 3.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

Mit Urteil des Amtsgerichts Aurich - Jugendschöffengericht - vom 10.06.2010 ist der Beklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Dagegen hat der Angeklagte durch die ihm mit bereits in erster Instanz beigeordnete Rechtsanwältin XXXX Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 30.08.2010 hat der Vorsitzende der 1. großen Jugendkammer des Landgerichts Aurich Termin zur Berufungshauptverhandlung auf Mittwoch, den 20.10.2010 nebst Fortsetzungstermin am Donnerstag, den 21.10.2010 anberaumt. Mit Schriftsatz vom 13.09.2010 zeigte Rechtsanwalt XXXX unter Vorlage einer Vollmacht an, dass er vom Angeklagten mit seiner Verteidigung beauftragt worden sei. Gleichzeitig bat er darum, den Termin zur Hauptverhandlung am 20.10.2010 aufzuheben, da er sich an diesem Tage bereits vor dem Amtsgericht Oldenburg befinde. Mit Verfügung vom 15.09.2010 teilte der Vorsitzende der 1. großen Jugendkammer dem Wahlverteidiger mit, dass eine Terminsverlegung nicht in Betracht komme, da der Angeklagte bereits anderweitig verteidigt werde.

Hiergegen richtet sich die von Rechtsanwalt XXXX namens seines Mandanten eingelegte Beschwerde vom 20.09.2010, der seitens des Vorsitzenden der großen Jugendkammer nicht abgeholfen wurde.

Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der ablehnenden Entscheidung über die Terminsverlegung, sowie zur Aufhebung des Hauptverhandlungstermins.

Die Beschwerde ist zulässig. Zwar ist eine ablehnende Verfügung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts im Hinblick auf § 305 Abs. 1 StPO in der Regel unanfechtbar. Sie ist jedoch ausnahmsweise dann statthaft, wenn die Entscheidung des Vorsitzenden ermessensfehlerhaft ist und eine besondere Beschwer bewirkt, weil sie z.B. das Recht des Betroffenen, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, unschwer vermeidbar beeinträchtigt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Auflage, Rdn. 8 zu § 213 m.w.N.). Der Vorsitzende hat über einen Terminsverlegungsantrag nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung, des Umfangs der zu erwartenden Verzögerung und der Terminsplanung und der Belastung des Gerichts zu entscheiden. Das Beschwerdegericht ist bei der Nachprüfung darauf beschränkt zu untersuchen, ob der Vorsitzende sämtliche relevanten Gesichtspunkte in seine Entscheidung eingestellt und rechtsfehlerfrei gegeneinander abgewogen hat. Im vorliegenden Fall ist bereits nicht ersichtlich, ob der Vorsitzende überhaupt eine Ermessensentscheidung vorgenommen hat. Der Hinweis darauf, dass der Angeklagte bereits anderweitig verteidigt wird, lässt nicht erkennen,dass das Gericht das Interesse des Angeklagten sich in der Berufungshauptverhandlung durch den von ihm gewählten neuen Verteidiger, Rechtsanwalt XXXX und nicht durch die bisherige Pflichtverteidigerin vertreten zu lassen, bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat.

Zu beachten ist ferner, dass es sich bei dem vorliegenden Verfahren um eine Berufung des Angeklagten handelt und dass das Verfahren nicht dem besonderen Beschleunigungsangebot unterliegt, da der Angeklagte sich weder in Haft befindet noch sonstige vorläufige Maßnahmen gegen ihn vollzogen werden. Auch ist nicht ersichtlich, zumindest hat der Kammervorsitzende hierauf seine ablehnende Entscheidung nicht gestützt, dass gegen eine Aufhebung des Hauptverhandlungstermins die angespannte Terminslage sprach, so dass eine kurzfristige Neuterminierung ausschied. Der Wahlverteidiger hatte unmittelbar nach seiner Beauftragung und damit mehr als einen Monat vor dem Hauptverhandlungstermin dem Gericht mitgeteilt, dass er an dem Hauptverhandlungstermin am 20.10.2010 verhindert sei.

Die Nichtbeachtung der prozessualen Rechte des Angeklagten führt zur Fehlerhaftigkeit der getroffenen Entscheidung.

Die angefochtene Verfügung vom 15.09.2010 war nach alledem aufzuheben. Weil nach dem Akteninhalt angesichts der sich aus dem Schriftsatz des Verteidigers ergebenden Terminskollision nur eine ermessensfreie Entscheidung, nämlich die Aufhebung des anberaumten Termins in Betracht kommt, ist der Senat als Beschwerdegericht befugt, die Entscheidung, den Hauptverhandlungstermin aufzuheben, selbst treffen (vgl. OLG Frankfurt StV 1993. 6, 7).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StP...

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