Leitsatz (amtlich)

1. Kann ein Geschädigter allein wegen eines durch einen Arztfehler verursachten Anfallsleidens nicht als Arzt approbiert werden, verstößt er nicht gegen seine Schadensminderungspflicht, wenn er ein rechtswissenschaftliches Studium beginnt statt sich um eine auch ohne Approbation zugängliche Arbeitsmöglichkeit zu bemühen.

2. Zur Bemessung des Schmerzensgeldes in einem solchen Fall.

 

Normenkette

BGB § 254; BGB a.F. § 847

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 25.05.2004; Aktenzeichen 12 O 7867/96)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 25.2.2004 geändert.

II. 1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über den bereits bezahlten Betrag von 50.000 EUR hinaus wertere 50.000 EUR Schmerzensgeld zu zahlen, zzgl. 6 % Zinsen hieraus seit 9.12.1995 sowie zzgl. 6 % Zinsen aus den bereits gezahlten 50.000 EUR für die Zeit vom 9.12.1995 bis 8.5.2003.

Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger mit Wirkung ab 1.11.1998 eine monatliche Schmerzensgeldrente von 375 EUR zu zahlen. Die monatliche Geldrente ist ab 1.4.2003 jeweils vierteljährlich im Voraus zu zahlen und damit jeweils am 01.01., 01.04., 01.07. und 01.10. eines Jahres fällig.

2. Die in der Vergangenheit bis einschließlich 30.4.2000 fällig gewordenen Rentenzahlungen sind ab Fälligkeit jeweils mit 6 % zu verzinsen, die ab 1.5.2000 fälligen Zahlungen sind jeweils mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 179.421,19 EUR zu zahlen nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 13.5.2003.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 28 %, der Beklagte 72 %, von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen der Kläger 30 %, der Beklagte 70 %.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beide Parteien können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Votlsteckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 374.709,84 EUR, der des ersten Rechtszugs auf 452.697,34 EUR bis zur Teilerledigung und auf 402.697,84 EUR für die Zeit danach festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt vom beklagten Arzt Ersatz seines durch fehlerhafte Heilbehandlung und unzureichende Aufklärung entstandenen materiellen und immateriellen Schadens.

Bei dem am 1971 geborenen Kläger wurden im Juni 1980 erstmals Hinweise auf eine familiäre hämophagozytische Lymphohistiozytose (Morbus Farquhar; im Folgenden: FHL) diagnostiziert. Zwei seiner Brüder starben am 1972 und am 1981 an dieser Krankheit. Bei der FHL handelt es sich um eine sehr seltene (ca. 1 Fall pro 1.000.000 Geburten), rezessiv vererbte Krankheit. Sie ist durch Infiltration und schließlich Zerstörung aller Organe durch Histiozyten und Lymphozyten charakterisiert. Medikamentös ist der tödliche Verlauf der Krankheit nicht zu verhindern. Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden Heilversuche mit Knochenmarktransplantationen unternommen. Seit 1991 war die kurative Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode von Experten in Westeuropa einschließlich Deutschland allgemein akzeptiert. 1992 begann man auch in Deutschland damit, Knochenmarktransplantationen gegen die FHL einzusetzen. Das 1993 erschienene Lehrbuch der Kinderheilkunde von F. J. Schulte und J. Spranger schreibt auf S. 440 zur FHL: "Die Knochenmarktransplantation scheint die einzige Heilungschance zu sein."

Der Beklagte war bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2006 Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts und der Poliklinik für klinische Immunologie und Rheumatologie der ...

Er erkannte im Jahre 1985, dass der Kläger an FHL litt und betreute ihn von da an bis zum 12.5.1990 privatärztlich. Dabei setzte der Beklagte zur Behandlung von Krankheitsschüben u.a. Cortison ein. Erst mit Schreiben vom 22.5.1995 bezeichnete er die Knochenmarktransplantation als mögliches Therapiekonzept.

Im April 1994 traten beim Kläger starke Kopfschmerzen, Sehstörungen, Lähmungen und Bewusstseinsstörungen auf. Er wurde deshalb vom 29.04. bis 5.5.1994 vom Beklagten stationär u.a. mit hochdosiertem Cortison behandelt. Die Untersuchungen ergaben Veränderungen im Gehirn, die der Beklagte als Leucodystrophie einschätzte. In der Folgezeit traten weitere cerebrale Ausfallerscheinungen auf. Vom 23.9.1994 bis 25.1.1995 wurde der Kläger wegen epileptischer Anfälle stationär in der Neurologischen Universitätsklinik behandelt. Im Mai 1995 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Klägers rapide. Eine Kernspintomographie zeigte eine Gehirnblutung rechts. Am 26.5.1995 wurde er mit einem Rettungshubschrauber in die Universitätsklinik verlegt, wo es zu einer weiteren Gehirnblutung kam, die mit rechtsseitiger Lähmung, Sprachstörungen und...

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